Flucht in die Komfortzone

Das Tanzstück Mira 7 gelingt als

sensible Skizze über Erinnerungen

 

Nein, Tanz auf der Bühne ist nicht nur das, was intensiv ist, hübsch, und, husch, ist es vorbei. Es gibt Choreografinnen und Choreografen, die können mit Zeitschichten umgehen, dem Verschachteln von Gestern, Morgen und Gegenwart, das jeder Mensch aus dem Alltag kennt. Die sichtbar und spürbar machen, dass sich momentane Wahrnehmungen mit Erinnerungen, Gedanken und Plänen überkreuzen. Verstricken. In ihrem letzten Stück benannte die Kölner Choreografin Julia Riera das Thema in »Ein Solo mit Gedächtnishüllen«, dem Untertitel von »Mira 6_89°«. Diese Hüllen waren Fiberglasabgüsse von Körperteilen, denen der wunderbare Solist Dong Uk Kim sich annäherte, indem er sie sich ein bisschen, aber nie ganz, zu eigen machte — als Last, als lustiges Spielzeug, als Schutz. Im dem neuen Stück ihrer vor Jahren begonnenen »Mira«-Serie, »Mira7_Thuley«, stellt die Choreografin das Erinnern auf noch simplere Weise dar: mit Kopfhörern.

 

Sie hängen an Kabeln von der Decke im ebenerdigen Saal von Barnes Crossing. Wenn einer der fünf Tänzer sich ein Paar überzieht, reagiert der Körper: mit Ausschlagen und Unruhe, mit Wellen und streckenden Verbiegungen von Händen bis Füßen, mit HipHop-Ruckeln, mit Stille. Derart verkabelt, wie an Kopfnabelschnüre gelegt, scheinen diese Menschen in ein Wohlsein zu flüchten, in andere Umgebungen oder Intensitäten. Ins Eigene oder eben nicht Eigene — während der Musiker Philip Mancarella dazu leises Rieseln in den ganzen Raum schickt, Wald- und Wiesen-Assoziationen, lautere elektronische Halltöne, Beats, Rauschen, genau dosiert, nie zu konkret. So kann man als Zuschauerin nur vermuten, was in welchem Kopf klingelt, was Sehnsucht, was Schreckenserinnerung sein könnte. Nun  stellt man die Gegenwärtigkeit oder auch die Identifizierbarkeit der Figuren auf der Bühne in Frage. Mal agieren sie betont vereinzelt, mal treten zwei in Kontakt wie Aliens, mal stützen sie einander, mal zerren sie heftig, alle verschmelzen zum wogenden Klump oder stellen sich zu Familienfotos auf, aus denen dann einzelne herausgehen. Oder alle kippen, sinken, und nur einer bleibt oben. Überlebt? 

 

Auf die zwei afghanischen jungen Männer, die als Tanzamateure mit den drei Profis agieren, Mahdi Mosawi und Omid Rezai, wird am Theatereingang eigens hingewiesen. So liest man »Mira 7« auch als sensible, ganz unpathetische Skizze über das Zusammenleben in einer Gesellschaft mit Menschen, die grauenhafte Erinnerungen mitbringen. Und wunderschöne.