Ganz falsch, damit es richtig ist

Das Museum Morsbroich präsentiert eine prallvolle Wunderkiste Polke-Fotografien

Lange waren sie verschollen, lagen in Kartons im Keller oder auf dem Dachboden, nun sind sie sehr zahlreich und doch einigermaßen übersichtlich sortiert in den Räumen des Museums Morsbroich zu sehen. Der große Maler Sigmar Polke (1941–2010) ist auch als Fotograf und unter-nehmungslustiger Laborant kein Unbekannter, aber ein Konvolut von rund eintausend unveröffentlichte Aufnahmen ist durchaus eine kleine Sensation. Knapp die Hälfte dieses Fundes ist in Leverkusen ausgebreitet. »Fotografien 70–80« heißt diese anregend übervolle Schau lapidar, der Titel umreißt den Zeitraum, wohl zwischen 1971 und 1985 / 86, in dem diese hand-lichen Schwarzweißabzüge entstanden.

 

Die Motive des stets mit einer Kamera ausgerüsteten Polke reichen von zahlreichen Portraits und Gruppenszenen — ein vergnügtes Familienalbum der rheinischen Kunstszene in den Jahren vor dem großen Ruhm — bis zu Selbstbildnissen von fremder Hand, denn der Versteckspieler und Verwandlungskünstler Polke agierte auch gern vor der Linse. Dazwischen Banalitäten daheim und unterwegs, abfotografierte Werbung und extrem vergrößerte Druckraster, eigene und andere Malereien, Wahlkampfplakate, morbide Stilleben und Pilze bis hin zu magischen Erkundungsaufnahmen im leeren deutschen Biennale-Pavillion in Venedig.

 

Wirklich Polke-typisch sind diese absichtsvoll unperfekten Aufnahmen aber erst durch seine eigenhändige Entwicklungsarbeit. Es muss für den bildersüchtigen Bilderspötter äußerst animierend gewesen sein, als er Anfang der 70er Jahre das Zauberreich der Dunkelkammer, die Möglichkeiten der Fotochemie entdeckte. Bei magischem Schwarzlicht erschienen Bilder im Entwicklerbad, ließen sich durch Flüssigkeiten und allerlei apparative Prozeduren, durch Zu- und Unfall, durch Kenntnis und Unkenntnis die richtigen Fehler manipulieren, miteinander vermäh-len, durch- und zueinanderbringen, in fleckige, tiefdunkle oder überhelle Geheimnisse verwandeln. Nichts aus diesem Maßnahmenkatalog hat der Bildentwickler Polke ausgelassen, um an den ordentlichen Bildern vorbei oder durch sie hindurch zu außerordentlichen Bildern zu gelangen. Er lässt die Grenze zwischen Wirklichem und Unwirklichem, zwischen Alltag und höheren Wesen verschwimmen, alles gerät in Fluss, ins Schweben. Es sind Bilder, in denen die kommende, spekulativ-spektakuläre Bildalchemie des Malers Sigmar Polke bereits heftig gärt.