Totalität unter Wasser

Eine der vielen poetischen Ungerechtigkeiten des frühen 21. Jahrhunderts ist die Tatsache, dass Kim Stanley Robinson immer noch fehlt, wenn über den »Great American Novel« gesprochen wird. Aber dafür gibt es Gründe. Anstatt sich dem bürgerlichen Roman und seiner Geschichte mehr (Gatsby) oder we-niger (Rabbit) exzeptioneller und dennoch typischer Individuen zu widmen, interessierte den kalifornischen Autor immer die Tota-lität der Gesellschaft. Und die erklärt man eben besser mit einem anderen Genre: Science Fiction.

 

In seiner Mars-Trilogie erzählt Robinson das Terraforming auf dem Roten Planeten als Ge--schich--te des Imperialismus. »Pazifische Grenze« handelt von einem Öko-topia, das nicht nur durch fundamentalistische US-Patrioten ge-fährdet wird, sondern auch durch das mangelnde Ge-schichts-bewusstsein seiner Bewohner. Denn Robinson, der beim marxis-tischen Literaturwissenschaftler Fredric Jameson promoviert hat,
ist schlau genug zu begreifen, dass Geschichte eben nicht auf einen Idealzustand zu-läuft, sondern dass dieser erkämpft und verteidigt -werden muss.

 

In einem Essay hat sich Kim Stanley Robinson deshalb vor drei Jahren von der Fantasie zur Weltraumreise verabschiedet, die momentan in erster Linie dazu dient, die Venture-Capital-Bewerbungen von Silicon-Valley-Gauklern wie Elon Musk zu befeuern. Robinsons Bücher spielen nun im Anthropozän, der durch die Menschheit unwiderbringlich -veränderten Erde.

 

Das gilt auch für »New York 2140«, das auf 800 Seiten von einem New York nach der Gletscherschmelze erzählt. Während man in Uptown noch auf dem Trockenen sitzt, -stehen Mid- und Downtown halb unter Wasser. Wie schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts wohnen dort, im »Super-Venedig«, diejenigen, die ihr Leben mit eher unsteter Erwerbsarbeit finanzieren müssen, was auf diejenigen, die im Trockenen sitzen, die übliche Anziehung ausübt. Im Met Life Tower hat sich eine Genossenschaft gegründet, die einen Versuch von Immobilienspekulanten abwehren muss, die ihr Gebäude als Zweitwohnsitz für Wohlhabende umwandeln wollen. Aber dies ist nur einer der Handlungsstränge von Robinsons Sintflut-Panorama: Die Programmierer von Finanz-Algorithmen haben ebenso ihren Auftritt wie Schatzsucher und Investoren auf der Suche nach dem schnellen Geld. Und dann gibt es noch den anonym bleibenden Hobby-Historiker, der als Parodie des allwissenden Er-zählers immer wieder historische Fakten einstreut und die -Illusionen der Protagonisten kommentiert. Denn Kim Stanley Robinson schreibt zwar beständig am »Great American Novel«. Aber er glaubt nicht daran.

 

 


Kim Stanley Robinson: »New York 2140«, Heyne, 816 S., 13,99 €