Die Schere im Kopf

Hanfried Schüttler, neuer Intendant am Keller Theater, hat seine erste Saison beendet. Eine Zwischenbilanz und ein Ausblick

 

Hanfried Schüttler strahlt vor allem Verbindlichkeit aus. Seit Beginn der gerade abgeschlossenen Spielzeit ist Schüttler Nachfolger von Meinhard Zanger, der neun Jahre lang Chef am Keller war. Dem neuen Leiter liegen Zampano-Attitüden nicht: »Man muss in dieser Theaterstruktur immer groß und stark sein. Das geht einher mit dem Nicht-Ausschöpfen der Möglichkeiten. Man produziert Angst statt Kunst. Das finde ich fatal.«

Er ist in der Szene präsent, freudig wird er bei Produktionen von Kollegen begrüßt, scheint alle oder doch sehr viele zu kennen. Wird er später unter vier Augen zur Qualität des Abends befragt, sagt er zunächst sehr viele nette Dinge. Wo man höchst angenehm zusammen gearbeitet hat, welche Meriten die Beteiligten sich erworben haben, wie gut sie sind in ihrem Metier. Dann kommt die Kritik, prägnant und nachvollziehbar, vor allem auch, was die handwerklichen Aspekte betrifft.

Um ein Theater erfolgreich zu führen, reicht es natürlich nicht, ein verbindlicher Mensch zu sein und ein gutes Auge fürs Handwerk zu haben. Auch wenn der neue Chef findet: »Die Chance des Kellertheater ist es, dass Leute auf der Bühne agieren, die ihren Job können.« Doch das Haus birgt viele Risiken. Der unter Zanger groß beschworene Umzug erwies sich als nicht finanzierbar. Der Mietvertrag in der Kleingedankstraße wurde um sechs Jahre verlängert – für den Preis einer empfindlich erhöhten Miete. Die finanzielle Schieflage folgte auf dem Fuß, zumal 99 Zuschauerplätze pro Spielstätte keinen wirtschaftlichen Theaterbetrieb erlauben. Und auch von diesen je 99 Plätzen blieben in der aktuellen Spielzeit viele leer.

Die Besucherorganisa­tionen Theatergemeinde und Freie Volksbühne, die sonst ein Drittel des Publikums ins Haus bringen, hatten nicht gebucht. Der Spielplan war vor lauter Intendanten-Wechselei nicht rechtzeitig vorgelegt worden. Die Stadt Köln, bemerkt ein dankbarer Schüttler, half unbürokratisch. Jetzt muss das alte Keller-Publikum, gewöhnt an den beliebten Schauspieler Bernd Reheuser und Zangers erfolgreichen Spielplan im literarisch ausgerichteten Boulevard-Bereich, wieder in die Südstadt gebracht werden. Oder ein neues gefunden werden.

Als Schüttler im letzten Jahr auf einer Pressekonferenz als neuer Chef im Keller vorgestellt wurde, hatte er ganz taktisch die Gemeinsamkeiten mit Zanger betont: Die Vorliebe für Eric-Emanuel Schmitt beispielsweise, und das Bekenntnis, ein Schauspielertheater zu machen, kein Kon-zept-, Regie- oder Dramaturgentheater. Kleists »Amphitryon«, Schüttlers Einstandsinszenierung, relativierte den Vergleich: Unterkühlte Verwechslungen statt Schenkelklopfer-Komödie. Auch »In allen Ehren«, Schüttlers zweite Regie am Haus, wirkt seltsam sperrig für einen Intendanten, der fest hält: »Wenn das Haus nicht voll ist, kackt der Laden ab.«
Das wortreiche, philosophisch intendierte australische Stück um die Unerklärlichkeit von Liebe und deren Ende pflegt Boulevard-Ambiente und Boulevard-Timing, aber keine Boulevard-Inhalte. Endgültig überrascht konnte man vom neuen Auftritt des Kellers bei »Das Versteck« sein, ein Projekt über Emi­gration von Hüseyin Michael Cirpici, das man eher bei einer Bühne der Kulturen als im Südstadt-Keller erwartet hätte. »Finanziell gesehen«, sagt der Chef, »eine Fehlentscheidung. Aber wichtig.« Und ließ ein zweites, ebenfalls explizit politisches Projekt in der Regie von Hüseyin folgen, den Doppelabend »Noch einen Letzten«/ »Gespräche mit dem Feind« von Harold Pinter und Lothar Kittstein.

So ist das wohl mit der gelebten Schizophrenie eines Theaterleiters, der bekennt: »Der Reiz – und ein unglaublicher Luxus! – besteht doch darin, in einem Bereich zu arbeiten, in dem am Ende der Auseinandersetzung ein Scheitern stehen kann. Sonst muss ich kein Theater mehr machen. Der Erfolg misst sich an dieser Risikobereitschaft.« Um im Hinblick auf die Finanzen entwaffnend hinzuzufügen: »Die Schere im Kopf und die Anpassung sind sowieso da, das kann ich nicht wegdiskutieren.«
Die kommende Spielzeit trägt erstmals komplett seine Handschrift, liest sich vielversprechend und macht deutlich, dass Schüttlers Stärken im Netzwerken liegen, im Zusammenbringen der richtigen Leute: »Ich reagiere weniger auf Konzepte, ich reagiere auf Menschen.« »Black Bird« von David Harrower entsteht als Koproduktion mit dem Prinzregent-Theater in Bochum. »Schluss mit Schubert«, eine Art Liederabend zwischen Schubert und Tom Waits, wird geschrieben und inszeniert von Wilfried Happel, vor einigen Jahren unter den Top Ten der jungen deutschen Autoren. Ein Pasolini-Projekt bündelt die Möglichkeiten von Literaturhaus, Filmhaus, Italienischem Kulturinstitut und dem Theater.

Kontinuität im personellen Bereich beweist das geplante Doppelprojekt, wieder mit einem Text von Lothar Kittstein. Es geht um »die Verquickung von Geld und Sprache oder auch: die Machtlosigkeit der Sprachlosigkeit.« Überhaupt ziehen sich wie ein roter Faden die Themen Geld, Arbeit, Anerkennung durch diesen Spielplan, als hätte dann doch heimlich ein Dramaturg ein Motto eingefügt. Schüttler selbst inszeniert »Eines langen Tages Reise in die Nacht«, Eugene O’Neills etwas angestaubten Klassiker über den Konflikt zwischen Kunst und materielle Sicherheit und über den Preis, der dafür gezahlt werden muss. Bei O’Neill fehlt das Happy End. Aber die Hauptfigur ist ja auch ein Egomane, kein Netzwerker.


Unter dem Label »Sommerkomödie«
läuft im Theater der Keller bis 5. August:

»Die Eule und das Kätzchen« von
Wilton Manthoff, R: Hanfried Schüttler,
Do bis Sa, 20 Uhr, So 18 Uhr.