»Sehnsucht nach dem Bolzplatz«

Nach der WM ist vor der Bundesliga. Im August startet die Saison. Der Fußball wird zunehmend stärker kommerzialisiert, immer mehr Fans stört das. Alina Schwermer hat ein Buch geschrieben über Klubs, die von ihren Fans geführt werden. Ein Gespräch über Grenzen von Mitsprache, die Angst von Vereinen vor ihren Fans und das Projekt deinfussballclub.de von Fortuna Köln

Frau Schwermer, in den vergangenen Jahren scheint sich eine diffuse Ablehnung gegen den kommerzialisierten Fußball entwickelt zu haben. Spielt die Bundesliga bald vor leeren Rängen? Die Geschichte, dass sich Fans vom modernen Fußball abwenden, wird seit zwanzig Jahren erzählt. Einige Bundesligisten haben zwar in der vergangenen -Saison erstmals leichte Abwanderungen von Fans erlebt und es gab auch sichtbare Proteste in den Stadien, zum Beispiel gegen die Montagsspiele. Aber es ist nicht so, dass Fans massenhaft den Spielen fernbleiben, weil es ihnen mit dem Kommerz zu viel geworden ist. Viele Anhänger sind nicht so idealistisch wie in Umfragen. Und sie wollen auch ihren Verein nicht verlieren.

 

 

Entstehen Fanvereine nicht genau aus diesem Verdruss? Das könnte man denken. Aber Fanvereine sind mehr eine indirekte als eine direkte Konsequenz der Kommerzialisierung des Fußballs. Sie entstehen meistens, wenn ein Klub insolvent geht. Dann müssen die Fans den Laden selbst schmeißen, um ihren Verein zu retten. Allerdings ist der Kommerz der Grund dafür, dass es zunehmend häufiger zu Insolvenzen kommt. Das Fußballgeschäft hat sich radikalisiert, Vereine müssen immer mehr investieren und ein immer größeres wirtschaftliches Risiko eingehen, um sportlich erfolgreich sein zu können. Das geht oft schief.

 

 

Das klingt pragmatisch und nicht nach Fußball-Romantik. Ich glaube schon, dass es die Sehnsucht gibt, den Fußball wieder bodenständiger zu erleben. Es gibt auch Fanvereine, die sich dezidiert gegen Kommerz richten, etwa der HFC Falke in Hamburg, der von enttäuschten HSV-Mitgliedern gegründet wurde. Aber Fanvereine sind nicht grundsätzlich Alternativprojekte zum modernen Fußball. Die Motive der Gründer sind sehr unterschiedlich. Mal führen Auseinandersetzungen mit dem Investor oder Besitzer dazu, dass man sich abwendet. Mal sind es Vereine wie Beitar Nordia in Israel, wo sich Fans gegen Rechtsradikalismus abgrenzen. Aber es gibt auch viele Beispiele, wo man das Ganze weniger ideologisch sieht. Gerade in England sind Fanvereine ein Mittel, um Geld zu generieren und den angeschlagenen Verein zu retten. Fanvereine sind nicht zwangsläufig eine linke Nische an der Basis. Was aber alle Projekte gemeinsam haben: Sie wollen den Fans mehr Einfluss verschaffen.

 

 

Wie sieht dieser Einfluss konkret aus? In manchen Fan-vereinen wird bis zum hintersten Trikotaufnäher alles gemeinsam entschieden. Andere entscheiden nur einmal im Jahr auf der Mitgliederversammlung über den Kurs des Vereins. Interessant ist die Balance zwischen genug und zu viel Mitsprache. Viele Fanvereine der ersten Generation, die sich vor etwa 15 Jahren gegründet haben, mussten diese Erfahrung schmerzhaft machen. Wenn man Fans zu viel Mitspracherecht einräumt, etwa im sportlichen Bereich, funktioniert das nicht. Fans haben von außen nicht die Kompetenz, solche Entscheidungen zu treffen. Basisdemokratie funktioniert nur bis zu einem gewissen Punkt. Es geht nicht darum, alle Mitglieder zu allen Entscheidungen zu befragen.

 

 

Wollen Fans das überhaupt? Sie wollen vor allem zu Wort kommen, wenn es um Faninteressen geht. Was kostet der Eintritt, was die Stadionwurst? Oder auch bei Fragen zu größeren Projekten wie einem Stadionneubau oder dem Standort des Trainingszentrums. Das ist auch sinnvoll. Bei sportlichen Entscheidungen, der Verpflichtung von Trainer und Spielern, ist es aber utopisch und auch verant-wortungslos, der Basis zu versprechen, dass sie mitreden kann. Das braucht Fachwissen und eine langfristige Strategie. Ich kann aber keine langfristige Strategie entwickeln, wenn ich jeden Sonntag über den Trainer abstimmen lasse.

 

 

Bei Fortuna Köln hat man das 2008 mit dem Fanprojekt deinfussballclub.de versucht. Für 39,95 Euro im Jahr durfte man bei Trikotfarbe, aber auch bei Transfers und Aufstellungen mitbestimmen. Das Ausmaß der Mitsprache war zu radikal. Man bekommt Probleme, wenn man Fans alle Macht zusichert und daraus Entscheidungen resultieren, die man mit Sachverstand nur als falsch bewerten kann. Das war bei Fortuna Köln aber nur ein Problem. Ein anderes war, dass es sich um ein skurriles Wirtschaftsprojekt handelte, das nicht organisch aus der Fanszene gewachsen war, sondern angegangen wurde, um Profit zu machen. Es gab schnell einen Graben zwischen denen oben, die gemanagt haben, und denen unten, die sich ausgenutzt und belogen gefühlt haben. Ein Fanverein ist kein Start-up.

 

 

Ist Mitsprache denn überhaupt ein Konzept für den Profifußball? Von Ralf Rangnick, dem Sportdirektor des umstrittenen Fußballprojekts RB Leipzig, stammt das Zitat, Mercedes oder DHL würden ihre Anteilseigner auch nicht bei jeder Entscheidung nach ihrer Meinung fragen. Der Red-Bull-Klub aus Leipzig ist natürlich ein extremes Beispiel für fehlende Demokratie, die bislang vor Ort offenbar niemanden stört. Viele Fans wollen aber eigentlich vor allem, dass man mit ihnen redet. Und Vereine vermeiden Konflikte, indem sie frühzeitig mit ihren Fans sprechen. Gerade wenn man weiß, dass eine Entscheidung ansteht, die an der Basis umstritten ist, sollte sich ein Verein mit verschiedenen Fangruppierungen zusammensetzt. Den Schritt gehen aber einige große Vereine nicht konsequent genug und bekommen dann Probleme, wenn der Zorn an der Basis explodiert. Fanvereine können zum Vorbild werden, wie Mitsprache im Fußball funktionieren kann. Profivereine werden immer stärker dazu gezwungen, sich mit ihren Fans auseinanderzusetzen.

 

 

Fans beklagen hingegen eine Ohnmacht gegenüber ihren Vereinen. Ist die größer geworden? Dass Fans immer weiter marginalisiert werden, ist nicht richtig. Früher waren Zuschauer viel weiter außen vor als heute. Da hat der reiche Schlachter vor Ort das Geld gegeben — und der hat dann entschieden. Es ist fußballromantische Verklärung, wenn man glaubt, dass Mitglieder früher alles basisdemokratisch entschieden hätten. Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall: Die Kommerzialisierung hat die Massen angezogen. Und erst die Massen haben Fans zu ernstzunehmenden demokratischen Möglichkeiten verholfen, die bislang von Investoren allerdings oft ignoriert werden. Das Verständnis von Fan-Sein hat sich verändert. Der Begriff der Fußballkultur ist ja erst in den vergangenen Jahrzehnten entstanden. Das ist eine historische Chance, den Sport zu demokratisieren. Jede Bewegung hat ihre Antibewegung. Im Fußball hat man nach der Show und dem Glitzer eine Sehnsucht nach dem Bolzplatz. Ob das mehrheits-fähig ist, wird man sehen. Christian Heidel, der Manager von Schalke 04, hat dazu treffend gesagt: Am Stammtisch regen sich alle über den Neymar-Transfer auf, aber wenn wir Neymar nach Schalke geholt hätten, hätten die Leute gejubelt.