Screenshot: Game Dev Story/Kairosoft

»Wir werden sie herausfordern!«

Unbezahlte Überstunden, unbarmherzige Konkurrenz, Sexismus — die Arbeitsbedingungen in der Games-Branche sind schlecht. Marijam Didžgalvytė hat deshalb »Game Workers Unite« gegründet, eine Gewerkschaft für Spiele-Entwickler

Frau Didžgalvytė, Sie berichten als Journalistin über die Games-Branche. Was interessiert Sie daran?

 


Ich war immer Gamerin, habe schon immer gezockt. Aber vor ein paar Jahren ist mir aufgefallen, wie sehr sich die Games-Indus-trie wandelt. Mittlerweile werden mehr Profite als in der Filmindustrie erwirtschaftet. Der Games-Bereich ist außerdem ein Nährboden für rechte Ideologien. Es passiert dort sehr viel, aber es wird kaum darüber berichtet.

 

 

Vor wenigen Monaten haben Sie »Game Workers Unite«, eine Gewerkschaft für Spieleentwickler, gegründet. Warum?

 

 

Verdienen Entwickler nicht sehr viel Geld? Früher war das so. Mittlerweile sind die Arbeitsbedingungen oft schlecht. Jobs werden zum Bespiel in einer Art Wettbewerb an Hunderte Programmierer oder Designer vergeben, und am Ende bekommt nur der Gewinner ein Honorar. Es gibt Null-Stunden-Verträge. Die Idee dahinter ist, dass man glücklich sein sollte, überhaupt in der Spiele-Industrie zu arbeiten. Die Chefs dieser Firmen wissen, dass sie es sich leisten können, ihre Arbeiter schlecht oder gar nicht zu bezahlen. Bisher gelang ihnen das, weil es gar keine gewerkschaftliche Organisierung gibt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Spiele-Industrie schlagen sich ganz allein auf dem Arbeitsmarkt durch und treten gegeneinander an. Im Grunde haben sie keinerlei Arbeitsrechte. Die wollen wir jetzt erkämpfen.

 

 

Und wie sieht es bei den Spiele-Entwicklern selbst aus? Wollen sie sich überhaupt in einer Gewerkschaft organisieren?

 


Das Interesse ist tatsächlich groß. Viele sind sehr unzufrieden, aber die meisten wollen noch nicht öffentlich darüber reden, weil sie Angst vor ihren Arbeitgebern haben. Manche schämen sich auch, dass sie so viel arbeiten und so wenig verdienen. Für andere ist es noch ganz neu, über Lohn und Arbeitsbedingungen nachzudenken, weil sie ja ihren Traumjob haben: einen, bei dem sie genau das machen, was sie immer machen wollten. 

 

 

Wer kann denn bei »Game Workers Unite« mitmachen?

 


Alle, die sich irgendwie als Gamer verstehen: Programmierer, Desig-ner, Accountmanager, auch Journalisten, die darüber schreiben und Social-Media-Manager. Alle, die in der Spiele-Industrie arbeiten und da gibt es zahlreiche Jobs.

 

 

Was wollen Spiele-Entwickler, was andere Arbeiterinnen und Arbeiter nicht wollen?

 


Bei einer Forderung von uns war ich selbst über die Reaktion überrascht: die 40-Stunden-Woche. Die meisten Spieleentwickler haben überhaupt kein Interesse daran. Sie sagen: Wenn wir programmieren, machen wir das auch gern mal 100 Stunden am Stück. Aber wir wollen dafür ordentlich bezahlt werden, das dürfen keine unbezahlten Überstunden sein.

 

 

Eine Gewerkschaft in der Games-Branche wird auch Anfeindungen ausgesetzt sein.

 

 

Bekannte Personen aus der Alt-Right-Bewegung behaupten, wir wollten Spiele »politisch korrekt« machen, also in ihren Augen langweilig. Die haben keine Ahnung, wie eine Gewerkschaft funktioniert. Hier in England werden wir noch ignoriert, vor allem von linksliberalen Zeitungen. Über »Gamergate«, eine sexistische Hashtag-Kampagne in der Gamer-Kultur, wurde viel debattiert, doch das Thema Gewerkschaft ist den meisten Medien egal.

 

 

Wie reagieren Spiele-Firmen auf »Game Workers Unite«? Viele Indie-Firmen freuen sich und kommen sogar auf uns zu. Diese Firmen werden oft von Entwicklern gegründet, die die Arbeitsbedingungen bei den großen Games-Publishern satt haben und es anders machen wollen. Die fragen uns: Wie können wir helfen, Arbeitsbedingungen zu verbessern?

 

Die großen Spielefirmen haben noch nicht reagiert. Aber die werden wir herausfordern. Wir werden dort die Arbeiter organisieren und vor ihren Zentralen demonstrieren. Sie haben viel Angst vor schlechter PR. 

 

 

In der Tech-Branche ist Sexismus und Diskriminierung gerade ein großes Thema. Beschäftigt Sie das?

 

Und wie! Aber es geht fast immer um Karrieremöglichkeiten, darum, dass Frauen bessere Jobs haben sollen, und wie sie in die Chefetage aufsteigen könnnen. Uns geht es um Arbeitsbedingungen, fairen Lohn, Solidarität untereinander. Viele Frauen klagen über sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz. Darum müssen wir uns kümmern.

 

 

Wie sieht es mit »Game Workers Unite« in Ländern des Globalen Südens aus?

 

Viele Jobs in der Games-Branche werden dorthin vergeben. Dort passiert jetzt schon viel mehr als hier. Wir wissen es nur nicht, weil die meisten Medien nicht darüber berichten. Es gab in den vergangenen Jahren Tausende Streiks im Technik-Sektor, ziviler Ungehorsam passiert quasi täglich. Die Programmierer und Callcenter-Mitarbeiter arbeiten dort in langen Schichten für Hungerlöhne. Sie verrichten die Arbeiten, die bei uns niemand erledigen möchte. Die Hardware wird in chinesischen Foxconn-Fabriken unter widrigsten, lebensbedrohenden Bedingungen zusammengebaut — und wir haben bis heute keine vernünftige Antwort darauf, wie hier praktische Solidarität aussehen könnte. 

 

 

Wie will Ihre Gewerkschaft die Antwort finden?

 

Ich hatte bisher nur ein paar Gespräche mit Tech-Arbeitern dort, allerdings während ihrer Arbeitszeit. Das bringt gar nichts, weil sie nicht ehrlich antworten können, da sie überwacht werden. Wir müssen uns überlegen, wie wir sie bei ihren Kämpfen unterstützen können und wie sie auch in Europa und den USA gehört werden können. Unsere Aufgabe ist es außerdem, die ökonomischen Zusammenhänge aufzuzeigen. Schließlich wird unser Erfolg, unser Reichtum auf dem Rücken der Menschen dort erwirtschaftet.

 

 

Gerade haben sich Google-Mitarbeiter zusammengetan und »Project Maven« gestoppt, eine Kooperation zwischen Google und dem Pentagon, um KI-gesteuerte Waffen zu bauen.

 


Es ist wichtig »Project Maven« und ähnliche Projekte zu stoppen. Da geht es um Kriegsführung, also um Leben und Tod. Aber alle Aktionen, die Aufmerksamkeit darauf lenken, was die Technologie-Unternehmen bauen und wie sie arbeiten, sind hilfreich. Gerade diese Programmierer tragen viel Verantwortung! Viele von ihnen verstehen erst jetzt, dass sie im Silicon Valley keine Utopie bauen, sondern dass ihre Produkte weitreichende, negative Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben. Bei solchen Aktionen entstehen auch Beziehungen unter den Arbeitern, sie lernen sich kennen. Und es ist immer großartig, wenn Arbeiter sich organisieren. Die bestehende Gewerkschaftsarbeit krankt oft daran, dass das nur große, unpersönliche Bürokratien sind. Die Menschen müssen sich aber kennenlernen, nur so können sie gemeinsam kämpfen. 

 

 

Wie geht es bei »Game Workers Unite« weiter?

 


Im Moment suchen wir Gamer, die mitmachen möchten. Wir haben ein Mitglieder-Formular. 100 Menschen sind eine Abteilung, ab 100 bilden wir eine neue — wir wachsen enorm. Zugleich sprechen wir mit Gewerkschaften und finden heraus, welche uns aufnehmen und unterstützen würde. Wir wollen nicht bei null anfangen. Sich einer bestehenden Gewerkschaft anzuschließen bietet den Vorteil, dass es schon ein organisatorisches Gerüst gibt, etwa Anwälte, die beraten können. Wir werden auch ernster genommen, wenn wir zu einer bestehenden Gewerkschaft gehören — vor allem wenn es eine ist, die radikal ist, und vor der die Unternehmen Angst haben!