»Starre Hierarchien widersprechen der Kreativität des Filmemachens

Filmschaffende in NRW fordern eine Entflechtung von Macht in der

Film- und Fernsehbranche — ein Gespräch mit Christiane Büchner

(LaDoc) und Torsten Reglin (Filmbüro NW)

Die Vorwürfe des »Machtmissbrauchs in Form sexueller Belästigung«, die den WDR zur Kündigung des Leiters des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie Gebhard Henke veranlasst haben, »zeigen symptomatisch einen Systemfehler im öffentlich-rechtlichen Rundfunk«, schreiben in einer gemeinsamen Verlautbarung vier Zusammenschlüsse von Filmschaffenden in NRW. Sie fordern darin flachere Hierarchien und eine größere Bandbreite an Entscheidungswegen in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Der Kölner Produzent Torsten Reglin (Filmbüro NW) und die Dokumentarfilmregisseurin Christiane Büchner (LaDoc) erklären, wie der Kampf gegen Belästigung und für Programmvielfalt zusammenhängen.

 

 

 

Als im vergangenen Herbst der Fall Weinstein öffentlich wurde, vermuteten Sie da, dass Ähnliches auch in Deutsch--land herauskommen würde?

 

Torsten Reglin: Ich habe schon gedacht, dass solcher Missbrauch nicht auf die USA begrenzt sein kann. Weil das keine Sache ist, die mit einer bestimmten Person zu tun hat, sondern mit Strukturen, die das begünstigen. Allerdings hatte Weinstein eine Machtfülle, die nicht auf die Verhältnisse in der deutschen Filmwirtschaft übertragbar ist.

 

Christiane Büchner: Ich war ziemlich überrascht, wie schnell so jemand fallen kann. Das hatte eine Dynamik, die ich nicht erwartet hatte. Ich fand aber gut, dass so ein System komplett ins Wanken gerät, dass alle gezwungen sind, sich hinzusetzten und nachzudenken, wie man zu anderen Umgangsformen kommt. Wenn wir uns in unserem Text auf Gebhard Henke bezogen haben, dann aber eigentlich nicht wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen ihn. Ob die so stimmen, müssen andere klären.

 

 

Worum geht es dann? In Ihrer Stellungnahme zum Thema schreiben Sie von einem »Systemfehler«.

 

Reglin: Unser Hauptkritikpunkt ist die Verengung der Entscheidungswege, die darüber bestimmen, ob ein Film gemacht wird oder nicht. In der alltäglichen Arbeit etwa mit dem WDR musst du am Ende immer an denselben vier oder fünf Personen vorbei oder auch nur an einer. An dieser Hierarchie-Pyramide orientiert sich alles.

 

 

Ganz konkret: Was konnte Gebhard Henke entscheiden?

 

Reglin: Gebhard Henke war Leiter der Programmgruppe Serien und Fernsehfilm im WDR und Koordinator für die »Tatorte« in der ARD. Wobei WDR-Fernsehchef Jörg Schönenborn gerade klargestellt hat, dass er das eigentlich selber ist. Zudem saß Henke bei der Film- und Medienstiftung in dem Gremium, das über größere Budgets bei Spiel- und Dokumentarfilmen entscheidet. Und dann ist er noch Professor an der Kunsthochschule für Medien. Das sind vier neuralgische Punkte, an denen sich Entscheidungen über Jahre hinweg in einer Person bündelten.

 

 

Was ist, wenn man sich mit so jemandem nicht gutstellt?

 

Büchner: Dann hat man keinen Ansprechpartner mehr, um ein Projekt zu verwirklichen. Darin liegt die Macht. Die Möglichkeit zu haben, Karrieren zu fördern oder sie komplett abreißen zu lassen.

 

 

Der WDR ist einer der Hauptgesellschafter der Filmstiftung und gibt weit mehr als zehn Millionen Euro im Jahr. Ist es nicht verständlich, dass der Sender auch Einfluss auf Entscheidungen nehmen will?

 

Büchner: Der WDR muss das Geld doch nicht wieder selber verteilen. Man könnte zum Beispiel eine externe Kommission bestimmen.

 

Reglin: Der Punkt ist gekommen, die Frage zu stellen, ob es immer so sein muss, wie es all die Jahre war. Wie wäre es mit einem Entscheidungsgremium mit rotierender Besetzung? Die Filmförderungsanstalt praktiziert das ja beispielsweise.

 

 

Es gibt auch radikalere Vorschläge: Warum nicht Filmförderung und Sender komplett unabhängig voneinander machen? In Frankfurt wurde außerdem gerade bei einem Kongress zur Zukunft des deutschen Films vorgeschlagen, einen Teil der Fördergelder per Losverfahren zu verteilen.

 

Büchner: Warum nicht? Das würde zumindest mal Räume öffnen.

 

Reglin: Ich weiß nicht, ob man so weit gehen sollte. Ich bin für das Rotationsprinzip: Einzelne Personen sollten nicht über viele Jahre entscheiden dürfen.

 

 

Flache Hierarchien würden die Möglichkeit von Machtmissbrauch reduzieren. Würden sie die Filme, die entstehen, auch besser machen?

 

Büchner: Wenn man Redaktionen mehr Autonomie gewährt, dann führt das zu mehr Vielfalt, mehr Möglichkeiten, mehr Diskussionen.

 

Reglin: Ich glaube, es gibt einen Widerspruch zwischen starren Hierarchien und der Kreativität des filmischen Prozesses. Wenn man den Geschmack von jemandem über Jahre kennt, der an der Spitze eines Entscheidungsgremiums sitzt, führt das dazu, dass man überlegt, welcher Stoff könnte demjenigen passen. Das engt Kreativität ein.

 

Büchner: Es gab mal einen WDR, der ganz verschiedene Publika adressiert hat. Da gab es natürlich auch Unterhaltung wie heute, aber anderswo dann Farocki und Straub/Huillet. Das ging nebeneinander. Ich weiß nicht, warum man über so etwas nicht wieder nachdenken kann, in einer Zeit, in der die Leute sowieso vom Fernsehen weglaufen. Der WDR will offensichtlich nicht viele unterschiedliche Stimmen im Programm haben. Dabei ist es doch gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der anders agieren könnte. Der geht ja nicht Pleite, wenn er mal was anderes macht.

 

 

 

Die Forderungen und den Text der -Verlautbarung findet man unter:
filmbuero-nw.de/macht-im-
oeffentlichen-bereich/