Als das Kino noch europäisch war

Die Ausstellung zu Günter Peter Straschek im Museum Ludwig ist zu Ende. Aber die Beschäftigung mit dem Filmemacher und Historiker kann weitergehen. Ein guter Anknüpfungspunkt ist ein von Straschek sehr geschätzter Film: Wilhelm Thieles »Die Drei von der Tankstelle« (1930), den die Lichtspiele Kalk in ihrer nachmittäglichen Klassiker-Reihe »Kosmos« präsentieren. 

 

Gerade dieser Tage, in denen die Welt immer mehr nach rechts rückt und Europa zu einem Sumpf aus Selbstmitleid und Fremdenfeindlichkeit verkommt, sollte einen dieses Stück Populärkultur noch einmal beschäftigen — als Finanzkrisenfilm wie auch als Samen von etwas, das es seither eigentlich nicht wieder gab: ein genuin europäisches Kino. Die Ufa-Produktion »Die Drei von der Tankstelle« war nicht nur in der Weimarer Republik, sondern auch international erstaunlich erfolgreich. Der Film war die Urform einer Spielart von Musikkomödie, die bis zum Zweiten Weltkrieg europaweit produziert werden sollte — egal, ob in Finnland oder Portugal, Italien, Frankreich, Spanien oder England. Diese Musikkomödien funktionierten nach einer Bauweise, die im kreativen Dreieck Österreich, Ungarn, Deutsches Reich entwickelt wurde, und in der regionale Eigenarten und lokale Stars natürlich ihren Platz fanden.

 

Der in Wien geborene Wilhelm Thiele emigrierte 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft über Österreich und England nach Hollywood, wo er den Massen unter anderem 1943 mit »Tarzan Triumphs« einen Agit-Exotika-Film der Sonderklasse kredenzte. Doch die Kanoniker der  Filmgeschichte sind sich zu fein für diesen Versuch volkstümlicher Aufklärung. 

 

So, wie sie sich auch wohlfeil lustig machen über »Jesse James Meets Frankenstein’s Daughter« (1966), den die Lichtspiele Kalk in ihrer Reihe »Something Weird Cinema« als 16mm-Kopie zeigen. Die Reputation von Regisseur William Beaudine wird mittlerweile durch diesen Film sowie den zeitgleich realisierten Zwilling »Billy the Kid versus Dracula« definiert. Dabei war der Zögling von D. W. Griffith zumindest in der Stummfilm- und frühen Tonfilmzeit eine große Gestalt, dem Hollywood-Mächtige wie Mary Pickford ihre Lieblingskinder anvertrauten — etwa das wunderschöne Melodram »Sparrows« (1926). 

 

Doch Beaudine hatte Pech: Als er in den 30er Jahren nach einem mehrjährigen England-Aufenthalt in die USA zurückkehrte, konnte er in der Industrie nicht mehr Fuß fassen. Beaudine musste künftig, auch weil er Schulden hatte, nehmen, was kam — und ruinierte seinen Ruf. Wer aber ein waches Auge und ein cinephiles Herz hat, wird auch in »Jesse James Meets Frankenstein’s Daughter« jene von Straschek so geliebte Kraft des Populären erkennen, die auch Beaudine-Juwelen wie »Hard to Get« (1929), »Road to Paradise« (1930) oder »The Lady Who Dared« (1931) animiert.