Don’t Worry, weg­laufen geht nicht

Gus Van Sant porträtiert den 2010 verstorbenen US-Cartoonisten John Callahan

John Callahan hatte die Angewohnheit, seine Zeichnungen wildfremden Leuten auf der Straße, an Kneipentresen und an Ladentheken unter die Nase zu halten. Deshalb braucht man den Cartoonisten nicht zu kennen, um in »Don’t Worry, weglaufen geht nicht« schnell zu verstehen, dass sein Humor auf schnodderigen Unverschämtheiten basierte. Der 2010 verstorbene Amerikaner machte sich in seinen bekanntesten Arbeiten, die in diesem Biopic beiläufig in die Kamera gehalten (und zum Teil animiert) werden, über gesellschaftliche Minderheiten lustig — zu denen er als Schwerbehinderter und Alkoholiker selbst gehörte. 

 

Angesichts der Provokationslust jener minimalistischen Kritzeleien fällt allerdings umso mehr auf, wie gegensätzlich der Ton ist, den diese gediegene Verfilmung seiner Autobiografie anschlägt. Unverschämt ist allenfalls, wie gezielt Gus Van Sant das Publikum auf die Ursache von Callahans Behinderung neugierig macht. Das Drehbuch, das der Filmemacher selbst verfasst hat, lässt den Protagonisten (Joaquin Phoenix) mit der Schilderung des »letzten Tages, an dem ich gehen konnte«, beginnen, um erst viel später die implizite Frage zu beantworten, warum der knorrige Kerl ab dem 21. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen war. Im Zentrum der ebenso lockeren wie verschachtelten Handlung steht indes Callahans Auseinandersetzung mit seiner Alkoholsucht, die bereits in frühen Teenagerjahren begann.

 

Die regelmäßigen Sitzungen einer Gruppe Anonymer Alkoholiker bieten Van Sant Gelegenheit, weitere kauzige Typen (gespielt u.a. von Udo Kier und Kim Gordon) auftreten zu lassen, die manchmal die subjektive Perspektive der von Rückblenden untermalten Selbstauskünfte Callahans thematisieren. Daher mag man sich wundern, ob die engelsgleiche Therapeutin Annu (Rooney Mara), Callahans spätere Freundin, womöglich ein Produkt seiner Fantasie ist — zumal Van Sant seine Hauptfigur an anderer Stelle eindeutig halluzinieren lässt. Wie mehrdeutig Callahans Zeichnungen sind, führt Van Sant geschickt bei einem Kneipengespräch vor, in das er eine dichte Interpretation eines kontroversen Cartoons einfließen lässt. 

 

Wirklich beseelt wird sein siebzehnter Spielfilm allerdings von der Nebenfigur eines Mentors, den Callahan bei den Anonymen Alkoholikern findet: Jonah Hill verkörpert jenen effeminierten, schwulen Millionenerben mit einer milden, versonnenen Dekadenz, die einfach hinreißend wirkt, da sie bei aller Extravaganz nie stereotyp wird und ohne jede Ironisierung auskommt. 

 

 

Don’t Worry, weglaufen geht nicht (Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot) USA 2017, R: Gus Van Sant,
D: Joaquin Phoenix, Jonah Hill,
Rooney Mara, 115 Min. Start: 16.8.