In die Stadt hinein

Das Programm für die erste Spielzeit unter Karin Beier überzeugt durch einen spannenden Mix aus Kölnbezug und Migrationsthemen, findet Alexander Haas

Die Messlatte hängt. »Mehr Ausstrahlung von den Bühnen aus Köln heraus in die Republik hinein« ist das, was die professionellen Außendarsteller Kölns von der neuen Schauspielintendantin Karin Beier erwarten. Kulturdezernent Georg Quander äußerte sich so, nachdem er den Vertrag von Marc Günther, Vorgänger der neuen Chefin, nicht über 2007 hinaus verlängert hatte. Da will die Intendantin auch nicht kleckern: »Köln«, schreibt sie im Eröffnungsbeitrag des Spielzeithefts, »ist eine der größten und lebendigsten Metropolen Deutschlands und dementsprechend möchten wir das Stadttheater positionieren«. In so einer Situation wirkt es beruhigend, wenn man angesichts des Programms für die erste Spielzeit unter Karin Beier feststellen kann: Dieser Spielplan ist gelungen und hochinteressant.

Es ist erstaunlich, wie konsequent und originell Beier und ihr Team in der künstlerischen Leitung – Rita Thiele als Chefdramaturgin, Sybille Meier, Jan Hein und Götz Leineweber als weitere DramaturgInnen – die Stadt selbst zum Thema vieler Produktionen machen. Ein Schwerpunkt der ersten Spielzeit ist es, Kölner Lebenswirklichkeiten aufzugreifen – in der Tendenz politische, aktuelle wie vergangene. In Köln leben viele Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft. Aus diesem Befund ergeben sich die weiteren Themen: Internationalität und Möglichkeiten wie Grenzen einer Gesellschaft mit hohem MigrantInnenanteil. Dass Beier ein multinationales Ensemble gebildet hat, erscheint da nur folgerichtig (siehe S. 26 der aktuellen StadtRevue). Ihm gehören übrigens auch Stars wie Maria Schrader und Joachim Król fest an.

Für das Kölner Schauspiel geht es mit Beginn der neuen Intendanz darum, ob dem Theater als Ganzem nach mindestens 15 Jahren mehr oder weniger großer Dürre endlich ein Aufbruch gelingt, der anhält. Das gilt zunächst für die Strahlkraft des Hauses in die Stadt hinein und die Akzeptanz seiner Arbeit in ihr. Dazu müss en die Macher gute Produktionen entwickeln, interessanten, anspruchsvollen Stoff, den es nicht in jeder anderen größeren Theaterstadt auch zu sehen gibt. Mit dem, was jetzt geplant ist, könnte das Haus dann auch überregional wieder auftrumpfen. Das letzte Mal war das unter der Intendanz von Jürgen Flimm zwischen 1979 und 1985 der Fall.

Das Heterogene der thematischen Schwerpunkte der ersten Saison, die am 12. Oktober mit Karin Beiers Inszenierung von Hebbels »Nibelungen« eröffnet wird, spiegelt sich in den verschiedenen Theatersprachen der einzelnen Produktionen wider. Neben ziemlich unüblichen Klassikern (unter anderem Grillparzer, Hölderlin, Ben Johnson und Richard Wagner), die sich meist um die Themen Heimat und Fremde gruppieren und von eher jüngeren Regisseuren mit eigenwilligem Zugriff wie Laurent Chètouane, Christian Weise oder Tom Kühnel inszeniert werden, stehen spartenübergreifende Projekte: Die zweite Premiere im Großen Haus, eine Uraufführung des australischen Tanzkünstlers Vincent Crowley, wird als »Choreografie mit Schauspielern« angekündigt.

In der Halle Kalk – die Beier, ein Riesenverdienst, wieder fest als dritte Spielstätte etabliert – startet das neue Kölner Team mit einer mehrtägigen Performanceinstallation des dänischen Künstlerduos Signa, gefolgt von »Fordlandia«, einem sicherlich nicht literaturtheaterhaft orientierten Projekt über die Ford AG und den legendären »Türkenstreik« dort 1973, inszeniert von Regisseur Tom Kühnel und Volksbühnen-Videoschnipsler Jürgen Kuttner. Dazu kommt die »Kölner Affäre« von Alvis Hermanis, dem lettischen Regiestar, ein semi-dokumentarisches Projekt, das Kölner Bürger involvieren soll.

Überhaupt spielt das neue Dokumentartheater eine große Rolle. Neben der »Kölner Affäre« und »Fordlandia« gehören dazu ein neues Stück des armenischstämmigen Juden Nuran David Calis über die erste Einwanderergeneration aus Köln und dem Ruhrgebiet und die Uraufführung von »Schattenstimmen« von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel über »Illegale« in Deutschland in der Schlosserei. Die soll weiterhin der Ort für neue Dramatik sein. Hochkarätige und programmaffine Gastspiele markieren, wer in Zukunft öfter am Haus zu sehen sein soll: Die englischen Ausnahme-Performer Gob Squad, Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) und zwei Einladungen des großen europäischen Regisseurs Johan Simons mit seinem Theater NT Gent.

Karin Beier macht die Halle Kalk wieder zur festen Spielstätte. Ein Riesenverdienst

Klar, es gibt auch Einwände. Karin Beiers erste eigene Inszenierungen in Köln, die Eröffnung mit »Nibelungen«, einem Stück, das sie bereits 2004 und 2005 bei den Wormser Festspielen gezeigt hat, und die Übernahme ihrer Wiener Inszenierung von Shakespeares »Maß für Maß«, strahlen vorab nicht gerade mit im Glanz des Neuen. Es mangelt auch noch an Programmelementen außerhalb der Aufführungen, die Publikum aus angrenzenden Künsten und Pop anziehen und halten können: kein starkes Partyformat, keine diskursiven Reihen. Kooperationen mit Institutionen oder Veranstaltern aus der Stadt in diesen Bereichen sind für ein Programm wichtig, das sich im größeren Kunstdiskurs denkt. Marc Günther hatte hier mit den Projekten von Navid Kermani und Manos Tsangaris durchaus Ansätze geliefert. Außer Andeutungen für den Erfrischungsraum im 1. OG findet man dazu bislang nichts.

Entscheidend bleibt aber: Trotz solcher Mängel ist dieser Spielplan in der Lage, große Hoffnungen zu machen!


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