Mit Noise und Neon zur neuen Weltsicht

Warren Neidich bietet bei Priska Pasquer eine Einführung in die Neuroästhetik

Fake news, alternative Fakten und Schlagzeilen-Rekorde, der letzte US-Wahlkampf und die Präsidentschaft des unablässig twitternden Donald Trump führen vor, wie eng politische Entwicklungen und ihre mediale Vermittlung miteinander verflochten sind. Eine der beunruhigendsten Erkenntnisse: Das Inter-net und seine Nachrichten- und Kommunikationskanäle machen keinen Unterschied zwischen gefühlter Wahrheit und realen Fakten. »Pizzagate«, der erfundene Skandal, der Hillary Clintons Niederlage besiegelt haben soll, gibt den Titel für die zentrale Installation in Warren Neidichs Solo-Ausstellung bei Priska Pasquer. Eine raumgreifende »Cloud« aus Neon-Zeichen verbindet Namen, Ereignisse und Schlagworte rund um die wahlentscheidende Verschwörungs-theorie. Von Algorithmen gesteuerte Schein-Zusammenhänge fügen sich, verführerisch leuchtend, zu einem robusten Konstrukt zusammen, das die Realität nachhaltig beeinflusst. 

 

Der interdisziplinär arbeitende Künstler, Autor und Theoretiker Warren Neidich interessiert sich für die neuronalen Bedingungen, die unsere Wahrnehmung begründen. Davon ausgehend, dass das Gehirn eine plastische Masse ist, dessen Struktur jede Information einspeist und sich dadurch ständig verändert, sieht er in der Kunst das Potential, bestehende Denkmuster aufzulösen und Neue zu etablieren. Exemplarisch für solche Prozesse ist etwa die Noise-Musik, deren dissonante Klänge und unrhythmische Abfolgen unsere gewohnte Rezeption herausfordern. Für die Arbeit »Scoring the Tweet(s)« (2017) hat Neidich selbst eine Komposition erarbeitet, für die er 195 Tweets von Donald Trump in Noten übersetzte.

 

»Neuroästhetik« nennt Neidich sein Forschungsfeld, auf dem er sich unterschiedlichster Disziplinen und Traditionen bedient. Surrealistische und dadaistische Dekonstruk-tion trifft auf den Technikenthusias-mus der Futuristen, die Idee des Chaos der deutschen romantischen Philosophen auf wissenschaftliche Erkenntnisse über den Sehsinn. Auf eine intuitive, manchmal fast spielerische Art und Weise verknüpft Neidich all dies mit den Diskursen über das Digitale. Eine Ausstellung mit institutionellem Charakter, die mit einer nochmal verlängerten Laufzeit und einem Veranstaltungs-programm umfangreiche Vermittlungsarbeit leistet.