Gegen die Endzeitstimmung

Die Ruhrtriennale steht mit Stefanie Carp zum ersten Mal unter einer weibliche Intendanz

Stefanie Carp gehört zu den profiliertesten Dramaturg*innen und Festivalleiter*innen der deutschsprachigen Theaterlandschaft. In den kommenden drei Jahren verantwortet sie als Intendantin zusammen mit Christoph Marthaler als Artiste associé die Ruhrtriennale (9.8. bis 23.9.) und hat als Motto »Zwischenzeit« gewählt. Für Carp eine Phase, in der sich in »kurzer Zeit alle unsere Lebensumstände verändern werden«, die aber auch die Chance biete, selbst mitzugestalten und nicht »in Furcht und Abwehr zu verharren«. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen an die Künstler*innen mit den Räumen der Ruhrtriennale zu arbeiten und warum sie sich als Intendantin nicht instrumentalisieren lassen will. 

 

Ihr Triennale-Motto lautet »Zwischenzeit«. Leben wir nicht eher in einer Endzeit? Zwischenzeit bedeutet, dass jetzt noch die Zeit ist, entscheiden zu können und Veränderungen zu gestalten. Es geht nicht darum, sich nur Gedanken zu machen, sondern zu handeln und sich entscheiden zu müssen. Ich mag diese apokalyptische Endzeitstimmung nicht, das macht einen handlungsunfähig und hoffnungslos. Da ist mir ein produktiver, also  handlungs- oder haltungsprovozierender Gedanke lieber. 

 

 

Was kann und muss Kunst in dieser Zwischenzeit? Das, was Kunst immer kann, heute, früher, in der Zukunft: Sie kann andere imaginäre Erfahrungsräume öffnen, uns die Welt anders wahrnehmen lassen und auch andere Wünsche, andere Bedürfnisse erwecken. Kunst kann dazu bringen, nicht alles so zu nehmen, wie es scheint. Sich zum Beispiel nicht steuern zu lassen von angeblichen Bedürfnissen, die in den sozialen Medien oder im Fernsehen vorgequakt werden. Da kann Kunst eine andere Dimension in uns selbst auslösen. Und, was natürlich alle theatralen Prozesse können, eine Art von vorübergehender Öffentlichkeit und eine Art vorübergehendes Gemeinwesen herstellen, uns als Gesellschaft spiegeln oder uns überhaupt als Teil einer Gesellschaftlichkeit empfinden lassen. 

 

 

Sie haben im Vorfeld gesagt, es seien Experimente notwendig, und zwar »im großen Format«. Was meinen Sie damit? Mit großem Format meine ich die Räume der Ruhrtriennale. Mit den Dimensionen müssen sich Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzen und das kann nicht jedem zugemutet werden. Gleichzeitig fordern diese Räume aber auch etwas Experimentelles ein. 

 

 

Wonach haben sie die Künstler*- innen dann ausgesucht für diese großen Räume? Wie im Theater überlegt man, wer ist jemand für die große Bühne und wer ist jemand für die kleine Bühne. Das ist gar kein Qualitätsurteil. Es gibt viele Künstler*innen, wahrscheinlich die Mehrheit sogar, die aus dem Intimen und der kleinen Form eine ganz große Kraft entwickeln. Zudem haben die meisten Künstler*innen, die ich in Lateinamerika, asiatischen und afrikanischen Ländern kennengelernt habe, gar nicht die Mittel, in großen Formaten zu arbeiten. Also habe ich überlegt, wer das Potenzial hat und mit diesen Räumen spielen könnte, auch wenn er oder sie das noch nicht gemacht hat. Wer sich also hiermit auseinandersetzen kann und nicht gerade erst bei der Ruhrtriennale zu Gast war. Die einzuladen, habe ich mir für mein erstes Jahr verboten, um auch mal andere und vor allem außereuropäische Künstler*innen zu zeigen.

 

 

Sind die Spielorte der Ruhrtriennale nicht zu künstliche Räume, um in ihnen Kunst stattfinden zu lassen, die das wirklich Publikum berührt? Die Räume sind weniger künstlich als eine konventionelle Bühne oder eine Blackbox, weil sie immer mitspielen. Jeder, der in diesen Räumen arbeitet, egal ob er eine Installation macht oder eine Choreografie oder ein Musiktheater, wird eine sehr besondere und sich speziell mit diesem Raum auseinandersetzende Kreation entwickeln. Er wird also um diesen Raum nicht herumkommen. Das spürt jede Künstlerin, die da rein geht. Man kann nicht einfach nur sein Künstler-Ego ausleben, sondern es geht immer auch um den Dialog mit der Realität der Arbeiterkultur, der Industriearchitektur, der ganzen Geschichte, die da mitschwingt. Das erfordert automatisch andere Formate.

 

 

Wie politisch und kontrovers müssen sie als Intendantin eines Festivals wie die Ruhrtriennale sein? Stichwort Young Fathers. Im diesem Fall blieb mir eigentlich nichts anderes übrig. Ich bin sozusagen durch die harmlose Einladung einer Band plötzlich in der Situation, im Nahost-Konflikt Position beziehen zu müssen. Das Ganze hat ja absurde Dimensionen bekommen. Aber ab einem bestimmten Punkt wollte ich mich in keiner Weise mehr instrumentalisieren lassen und auch nicht, dass Kunst instrumentalisiert wird. Man muss sich auf ein Sache einigen: »Freedom of Speech«. Denn was ich zu verteidigen habe, ist die Freiheit der Kunst. Solange niemand mit Parolen bewaffnet oder mit Gewalttätigkeiten auf die Bühne geht, so lange gibt es diese Minimalrecht des »Freedom of Speech«. 

 

 

Sind die Vorgänge um die Einladung der Band nicht schon Teil ihres Festival-Mottos »Zwischenzeit«? Ein bisschen habe ich das auch so empfunden. Ich dachte, das ist kein Wunder, wenn man so ein Programm macht, dann kommt man auch in solche Konflikte. Es ist nicht möglich, so ein Programm zu machen und dann zu sagen: »Oh, ich will mich aus dieser einen Sache raushalten.« Es war ja zu merken, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe. Ich habe mich mit vielen Kolleg*innen und Künstler*innen sehr stark mit dem Thema auseinander gesetzt und bin dabei durch viele emotionale Prozesse gegangen. 

 


StadtRevue präsentiert

Ruhrtriennale: 9.8.–23.9.,
verschiedene Spielorte, Programm
auf ruhrtriennale.de