Einfach da

Der Kölner Musiktherapeut Elmar Vogt hat einen frei schwingenden Klangkörper entwickelt. Wir haben den Selbstversuch gewagt­

Ein weiß verklinkertes Reihenhäuschen irgendwo im Nordosten Neu-Ehrenfelds nahe der Anschlussstelle Bickendorf. Hinter der unscheinbaren Fassade befindet sich die Praxis von Elmar Vogt. Betritt man das Haus, fällt sofort etwas auf: Es ist erstaunlich ruhig. Doppelverglasung und Traumfänger halten das Rauschen der nahen Autobahn draußen, durch die Fenster blickt man ins Grüne. In dem kleinen Garten hinterm Haus steht eine kräftige Korkenzieherweide, die Äste wiegen sich im Wind. Vogt, ein freundlicher Mittfünfziger mit offenem Blick und drahtiger Statur, führt einen in den Therapieraum im ersten Stock. Dort hängt in der Mitte das sogenannte Klangboot.

 

Das Klangboot ist eine mit starken Hanfseilen an einem massiven Holzgestell aufgehängte Liegefläche aus bündig verarbeitetem Eschen- und Pappelholz. An der Unterseite sind zweiundzwanzig Cembalo-Saiten angebracht, die alle auf ein und denselben Ton gestimmt sind. Legt man sich auf die Liege, wiegt sie noch ein wenig nach. Vogt sitzt an der Längsseite auf dem Boden und beginnt zu spielen. Langsam streicht er mit den Fingern über die Saiten, die obertonreichen Schwingungen scheinen sich direkt auf die Knochen zu übertragen. Man hat das Gefühl, als ob die Klangquelle Stück für Stück in die Beine, das Becken, den Oberkörper einsickert. Der warme Klang entfaltet nach kur-zer Zeit seine Wirkung: Man wird ruhig, zentriert sich als Resonanzraum im und um den Klang. Nach einer Weile verstummt der Gedankenstrom. Der Klang des Monochords wird zum Grundrauschen, wellenartige Obertonkämme fluten durch die Körpermembranen. Irgendwann ist man nur noch da. Die einschlägige Erfahrungsliteratur spricht in diesem Fall davon, dass man eins wird mit dem Klang.

 

Das Frappierende an diesem Erlebnis ist, dass es unmittelbar ist. Ein Grund, weshalb Vogt die Klangboottherapie seit Jahrzehnten mit stetigem Erfolg betreibt. Mittlerweile findet sie in ganz Deutschland Anwendung, oft auf Pallia-tiv-sta-tio-nen oder in Kinderkliniken. Die therapeutische Arbeit mit Sterbenden und Schwerstbehinderten bezeugt die direkte Wirkung des Klangbootes, dessen Resonanzkörper im Wesentlichen der Mensch ist.

 

Das Klangboot ist eine Erfindung Vogts. Er hat auf eine Patentierung verzichtet, in wirtschaftlichen Kate-gorien denkt er ohnehin nicht. Die Idee zum Klangboot kam ihm, als ihn sein Gesangslehrer bat, sich auf den Boden zu legen, während dieser daneben ein Monochord spielte. Nach-dem sein Lehrer zehn Minuten auf dem einsaitig bespannten Resonanzkasten gespielt hatte, empfand Vogt seine eigene Stimme voller. Die obertonreichen Schwingungen des Instrumentes hatten sein eigenes Klangspektrum offenbar beeinflusst und erweitert. Um die Übertragung der Schwingungen auf den Körper direkter zu organisieren, entwickelte und baute Vogt im Laufe der Zeit verschiedene Klangkörper auf der Grundlage des Monochords. Nach diversen Entwicklungsschritten war das Klangboot erfunden.

 

Wenn Vogt mit seinem sanften frän-kischen Dialekt spricht, merkt man, dass es ihm eine Herzens-an-gelegen-heit ist, Menschen zu ihrem Ruhepunkt zu führen: zu dem Punkt, an dem nichts mehr sein muss, sondern alles sein darf. Dann sagt er einen Satz, der hängen bleibt: »Alle suchen nach diesem Moment, diesem Mo-ment, in dem man einfach nur da ist.« Seine Augen haben dabei etwas Rührendes, eine Mischung aus me-lan-cho-lischer Grundgestimmtheit und großer Zuversicht. Die Erfah-rung während der Klangboottherapie vergleicht Vogt mit der berühmten Sitz-Performance »The Artist is Present« von Marina Abramovic. Die Begegnung, die im Ideal-falle zwischen ihm und dem Fahrgast seines Klangbootes entsteht, habe die Kraft eines unmittel-baren und puren Aufeinandertreffens zwei-er Individuen. Dabei korrespon-diere sein Spiel der Saiten mit dem jeweiligen mitschwingenden Körper auf einzigartige Weise und stelle eine ähnlich direkte Kommunikation her wie der unverstellte Blick in die Augen des Gegenübers bei Abra-movics Performance.

 

Spricht man Vogt auf seine Er-fah-rungshintergründe an, fallen die Schlagwörter, bei denen in voreingenommenen -Köpfen die Esoterikschranke fällt: Buddhismuszentrum Waldbröl, Willigis Jaeger und Thich Nhat Hanh, die Idee der Achtsamkeit. Doch unabhängig wie offen man diesen nur vermeintlich esoterischen Ressourcen seiner Arbeit und im Speziellen seinen achtsamen Imaginationen gegenübersteht — Vogt teilt auf Wunsch seine bildhaften Assoziatio-nen, die er während der Klangboottherapie entwickelt, seinem Fahrgast mit — ist sein Angebot von schlichter Pragmatik: «Es gibt kein Ziel. Das Ziel ist, im Hier und Jetzt anzukommen.« Dieser zenbuddhis-tische Grundsatz ist zumindest ein Gegengift zur Vertikalspannung ei-ner Leistungsgesellschaft, in der sich gegenwärtig sogar die Mittelschicht am Rande zum Prekariat wähnt. Eine Dosis Ge-lassenheit kann da genau das Richtige sein.

 

 

Homepage von Elmar Vogt: klang-bewegung.de