Foto: Marcel Wurm

Neue Stimmen: Ahmad Katlesh

Köln und sein Umland sind ihr Zuhause, geboren sind sie woanders.

Ahmad Katlesh und Rabia Shah erzählen vom Verlassen der Heimat und

der Konfrontation mit dem Umbekannten. Gemeinsam mit dem Autorencafé

fremdwOrte veröffentlichen wir diesen Monat ihre Texte in der Stadtrevue

»Damaskus vertikal« von Ahmad Katlesh

 

 

Der Regen macht mir Angst,

 

Mutters Gesicht im Fallen,

 

meine Hand — ein Sieb, das Tropfen zerhackt.

 

Alles verrinnt.

 

 

 

 

Jeden Tag verschwindet eine Straße aus meinem Kopf,

 

aus Damaskus,

 

entsteht ein weiterer weißer Fleck auf meiner Karte.

 

Ich schließe die Augen, gehe durch das Gedächtnis einer alten Gasse,

 

erreiche das Ende, stürze.

 

Weiß nicht mehr, was dort war,

 

falle tiefer,

 

in eine andere Straße.

 

Damaskus vertikal.

 

Eine Schicht und noch eine Schicht,

 

kein Anfang und kein Ende.

 

Die Schichten sind schwer im Kopf,

 

leicht im Herzen,

 

schwer in der Erinnerung.

 

 

 

Wie rette ich mich zu dir?!

 

In Gedanken gehe ich wieder und wieder die Schritte ab,

 

ich kreise und kreise,

 

ein Strudel entsteht … eine Mauer … eine Tür.

 

Ich will nicht fallen in die Vergessenheit.

 

Gehe hinaus,

 

will nicht hinaus.

 

 

 

Übersetzung aus dem Arabischen: Jessica Siepelmeyer

 

 

 

 

 

 

»Wir sind die Kinder des Lehms« von Ahmad Katlesh

 

Früher wohnten wir in Häusern mit niedriger Decke. Trotzdem hatte jedes Haus einen Hängeboden für Dinge, die die Mütter nicht brauchten — sie warfen grundsätzlich nichts weg.

 

Beim Blinde-Kuh-Spielen versteckte ich mich einmal auf solch einem Boden. Ich wurde nicht gefunden und blieb dort. Später freundete ich mich mit meinem vernachlässigten Ich an.

 

Ich verbarg auf dem Hängeboden eines Ladens meine Laster, die so den Schatz meiner geheimen -Erinnerungen bilden.

 

Viele Hängeböden habe ich kennen-gelernt. Hängeböden, auf denen man Steuerunterlagen und ver-dorbene — auch kostbare — Waren verschwinden ließ. Hängeböden, auf denen Kinder vergewaltigt wurden. Hängeböden für Sex. Hängeböden, auf denen Arbeiter ungestört beteten, mit ihrer Liebsten sprachen oder ihre Prügelstrafe empfingen. Hängeböden, die Schutz boten vor dem Streit der Eltern. Hängeböden in Häusern mit nie-driger Decke zum Alleinsein.

 

Jetzt wohne ich in einem Haus mit hoher Decke und weiß nicht, was ich mit all der Leere anfangen soll. Weiß nicht, wohin mit meiner Angst, die ich nicht brauche und die ich — genau wie meine Mutter — nicht wegwerfen kann.

 

*****

 

Die Häuser hier sehen so aus wie die, die wir als Kinder malten. Schräges Dach, große Fenster, hauchdünne Vorhänge. Oben drauf bleibt kein Schnee liegen, drinnen staut sich nicht die Luft. Häuser, die die Sonne anlachen.

 

Aufgewachsen sind wir in Häusern mit Flachdach und kleinen Fenstern, außen vergittert und innen mit dicken Gardinen verhangen. Wir mochten keine Häuser, in de-nen die alten Geschichten schwelten und schlechte Luft zirkulierte. -Deshalb malten wir die Häuser so, wie wir sie uns wünschten. Die Ge-schich-te sollte uns nicht im-mer-zu lasten auf dem Kopf. Dem Kopf, den unsere Mütter stets spürten.

 

Weshalb sonst rief meine Mutter jedes Mal, wenn ich mich ein wenig aus dem Fenster lehnte: »Du fällst noch raus. Dein Kopf ist viel schwerer als du.«

 

*****

 

Weil wir aus Erde bestehen,

 

sind wir die Mütter der Bäume.

 

Ohne Unterschied,

 

du bist die Mutter der Weinrebe,

 

ich die Mutter des Olivenbaums,

 

ohne Unterschied.

 

 

*****

 

Früher wusste ich nicht, was es heißt, in Häusern mit Holzfuß-boden zu wohnen. Sooft ich meine Schuhe ausziehe und barfuß gehe, falle ich hin.

 

Wir sind die Kinder des Lehms. Wir zogen für unsere Lieben Bäume auf statt Schmetterlinge und Vögel.

 

Boden aus Holz, Decke aus Holz. Ich werde zu meiner Liebsten sagen, dass ein Baum mich in seinem Inneren aufgenommen hat. Sie wird lachen und denken, ich wohne im Bauch eines Cellos.

 

Wir sind die Kinder der Erde, die Bäume müssten aus uns herauswachsen. Wir sind die Kinder des Asphalts. Tag für Tag begräbt er uns unter seinem Schutt, Liebste.

 

 

Übersetzung: Leila Chammaa

 

 

 

Ahmad Katlesh wurde 1988 in Damaskus geboren und lebt heute in Düren. Er arbeitet weltweit als -Schriftsteller, Spre-cher und Journalist. Auf seinem Soundcloud-Kanal Tiklam veröffentlicht er regelmäßig kurze Passagen aus Romanen, Lyrik und Novellen in -arabischer Sprache. Er arbeitet zudem an Theater-und Choreographie-Projekten. Ahmad Katlesh ist zurzeit -Stipendiat des Heinrich-Böll-Hauses in Langenbroich. soundcloud.com/ahmed-n-katlish 

 

Die Texte von Ahmad Katlesh sind im Rahmen des Projekts »Weiter Schreiben. Ein Portal für Literatur und Musik aus Krisengebieten « entstanden, gefördert durch den Haupt-stadtkulturfonds und das Goethe-Institut, in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll--Stiftung und der Allianz Kulturstiftung. -Einheimische Kollegen sollen die nach Deutschland geflüchteten Schriftsteller als Paten unterstützen. Im Falle von Ahmed Katlesh ist dies Michael Krüger.

 

Das Interkulturelle Autorencafé fremdwOrte besteht seit Sommer 2015. Bei monatlichen Treffen im Literaturhaus Köln tauschen sich Autor*innen und Übersetzer*innen unter Leitung von Roberto Di Bella über Texte, Schreiberfahrungen und Identitäten aus.

 

fremdworte-autorencafe.de