Foto: Marcel Wurm

Neue Stimmen: Rabia A. Shah

Köln und sein Umland sind ihr Zuhause, geboren sind sie woanders.

Ahmad Katlesh und Rabia Shah erzählen vom Verlassen der Heimat und

der Konfrontation mit dem Umbekannten. Gemeinsam mit dem Autorencafé

fremdwOrte veröffentlichen wir diesen Monat ihre Texte in der Stadtrevue

Also, was ich euch jetzt erzählen werde, ist eine wahre Geschichte.

 

 

Ich war auf dem Weg in eine Stadt, weit entfernt von meiner eigenen und auf der Reise fühlte ich mich nachdenklich und lies meine Gedanken schweifen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs saß ein Mann, ein schwarzer Mann. Lustig, wie ich darauf hinweisen muss, dass er schwarz ist, weil er anders ist oder er vielleicht eine Identität hat, die ihn unterscheidet. 

 

 

Wir führten also diese Unterhaltung:

 

Schwarzer Mann: Hi, kommst du aus Marokko?

 

Ich: Äh, nein.

 

Schwarzer Mann: Oh, okay. Woher kommst du denn dann?

 

Ich: Pakistan

 

Schwarzer Mann: Oh, da war ich schon mal. Kommst du aus Islamabad?

 

Ich: Nee, aus Karatschi.

 

Schwarzer Mann: Oh, davon habe ich schon gehört. Ich war mal für einige Stunden in einer Stadt dort. Ein schönes Land.

 

Ich: Ja, finde ich auch. Also kommst du aus Marokko?

 

Schwarzer Mann: Nein, ich komme aus Nigeria.

 

Ich: Oh, cool. Da war ich noch nicht.

 

 

 

In diesem Moment der Begeisterung wurde mir klar, dass wir uns kaum unterscheiden. Ich meine, vermutlich sah ich wirklich einer Marokkanerin ähnlich. Aber ich war anders, ich war nicht, was er annahm. Ich bin nicht mehr, als wer ich geboren wurde, aber ich werde auch nicht dadurch definiert, wo ich lebe.

 

 

Nichtsdestotrotz, jetzt sind wir in diesem Land, und zwar gemeinsam. Dort war er, der schon einmal in meine Heimat gereist war und hier war ich, die ich schon immer neugierig auf Afrika war. Irgendwie sind wir verbunden, aber wir trennen unsere Verbindung wieder, indem wir zwischen normalen und schwarzen Menschen unterscheiden. 

 

 

Aus einer anderen Perspektive betrachtet leben wir unter dem gleichen Himmel und auf dem gleichen Planeten, was mich wiederum daran erinnert, wie bedenklich ich die Tatsache finde, dass der Mars in ungefähr zwei Jahrzehnten bewohnt sein soll. Wir sollten einfach mehr Unterschiede zulassen, dann müssten wir auch größer denken und daran glauben, dass wir im gleichen Universum leben. 

 

Aber kehren wir erstmal dahin zurück, dass ich den Mann, den schwarzen Mann, als »schwarz« gekennzeichnet habe, weil ich seinen Namen noch nicht kannte, als ich mit ihm geredet habe. Und ein paar Minuten später begann ich, dies zu schreiben. Also machte ich eine Pause und dachte drüber nach, wie ich ihn eigentlich benennen sollte, wie ich ihn charakterisieren sollte. Soll ich einfach sagen »ein afrikanischer Mann«? Würde ihn das nicht auf jeden Fall als schwarz identifizieren? Ich meine, klar, das ist, womit wir leben, was wir um uns herum mitbekommen — von Filmen bis Fernsehprogrammen, von unserer Nachbarschaft bis zu Konferenzen, vom Kennenlernen auf guter Basis bis zum Abschied auf schlechter.

 

Weil ich in einer streitbaren Gesellschaft lebe, habe ich immer Aussagen wie diese gehört:

 

 

Im Alter von sechs: »Rede nicht mit Fremden!«

 

Im Alter von 16, als Mädchen: »Pass auf, dass du nicht wegen irgendwelcher Typen Ärger bekommst und übrigens: Halt dich von schwarzen Menschen fern!«

 

Hier ist eine Erklärung dafür:

 

Auch wenn all dies unbeabsichtigt war, war es dennoch Teil der Medienwelt um mich herum. Irgendwie wurde ich damit gefüttert. Mir wurden Bilder von einem schwarzen Kind, das mit einem weißen Kind befreundet war, vorgeführt. Warum wurde mir das überhaupt gezeigt? Warum ist das berichtenswert, warum wird das dargestellt oder als Logos oder PR-Zwecke genutzt? Wir sollten deshalb unsere Schultern zucken und sagen: Ok, das ist halt einfach eine Tatsache.

 

Es ist halt, wie es ist.

 

Was ich sagen will: Mir sollten die Unterschiede zwischen den Farben Weiß und Schwarz beigebracht werden und nicht die Unterschiede zwischen den Hautfarben von Menschen.

 

 

Ich lernte, Schwarz mit Schwarz zu konnotieren und Weiß mit Weiß. Aber wo für einige Schwarz eine heilige Farbe und Weiß die Farbe der Trauer ist, stellt für andere Weiß die Farbe eines Neubeginns und Schwarz die Farbe der Trauer dar. Schwarz erzeugt einen dunkleren Farbton und Weiß einen helleren, leichteren, glücklicheren Farbton. Außerdem symbolisiert Schwarz die Stärke, während Weiß den Frieden predigt.

 

 

Das ist der einzige Unterschied, der existieren sollte, vor allem auf diesem Planeten, der zu
71 Prozent aus Wasser und zu 29 Prozent aus Land besteht. Auf dieser Reise, habe ich die unbewusste Verbindung zu einem winzigen Stereotyp gekappt. Während ich unsere Unterhaltung aufschrieb, nahm ich all meinen Mut zusammen. Ungefähr 50 Mal wiederholte ich meine Frage in meinem Kopf. Schließlich fragte ich nach seinem Namen, und erzählte ihm, dass er mich inspiriert habe, etwas zu schreiben und ich darin auch seinen Namen  erwähnen wollte. Er erzählte mir, dass er einen afrikanischen Namen habe und da ich seinen langen, interessant mysteriösen Namen nicht so ganz verstehen konnte, fragte ich ihn, ob er ihn nicht aufschreiben wolle: John Chukwuemeka.

 

 

Also, was ist der Unterschied, wenn Ziel und Richtung einer Reise identisch sind, aber Grund und Zweck ein anderer?

 

 

Wir beide waren unkonventionelle Subjekte mit bestimmten Zielen und unter mehr oder weniger den gleichen Umständen: er auf dem Weg nach Hause, ich auf einer unvergesslichen Reise.

 

 

Oberflächlich gesehen gab es keinen Unterschied zwischen uns, aber je mehr man in die Tiefe geht, desto mehr verändert sich das Denken.

 

Stell dir vor, du bist in einem Wald. Ein Wald besteht aus Bäumen, Büschen und wilden Tieren. Und je tiefer du in den Wald gehst, umso wilder wird es und je wilder es wird, desto mehr Bürgersteige wirst du vor dir sehen.

 

Rechts 

 

oder

 

Links

 

Es ist wie in »Hänsel und Gretel«: Die Brotkrumen, die du hinterlässt, zeigen den schon zurückgelegten Weg an, deine Gedanken fressen dich innerlich auf. Das Hexenhäuschen zieht dich die ganze Zeit an und die Hexe kocht sich ein Süppchen aus unserer Menschlichkeit.
Aber es gibt auch bessere Wege. Es kommt darauf an, welchen wir nehmen. Warum unterscheiden wir und sehen manche Menschen als ein Symbol des Guten und andere als ein Symbol des Schlechteren?

 

 

Wer sind wir, darüber zu urteilen? Wer bin ich, darüber zu urteilen? Was ist das für eine Heuche-lei, zu denken, dass die Farbe Schwarz komplex und ästhetisch sei, nicht aber die Hautfarbe Schwarz? Wir zelebrieren die Unterschiede, wo — um es kurz zu machen — es eigentlich keine geben sollte. Manchmal frage ich mich, ob ich selbst diese Haltung schon einmal irgendwie oder irgendwo propagiert habe. Vielleicht, als ich gefeiert habe, als in den USA und Südafrika ein schwarzer Präsident gewählt wurde?

 

 

Die Frage ist doch: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Und warum ist es so weit ge-kom-men? Und wann? Wann haben wir angefangen, zu diskriminieren und auf welcher Basis haben wir entschieden, Teil unterschiedlicher Gruppen zu werden und wem haben wir den Thron über-lassen, um von dort aus alles zu beherrschen?

 

 

Wir alle sind Menschen, bevor wir Europäer, Afrikaner oder Asiaten sind.

 

 

Wir alle sind Menschen, bevor wir rot, schwarz oder weiß sind.
Wir sind Menschen, bevor wir einer Nation angehören.
Wir sind Menschen, bevor wir einer Religion angehören.

 

 

Wir sind Menschen und die nur ein paar -Kilometer währende Unterhaltung mit einem -vollkommen fremden Menschen im Zug hat mein Denken verändert und mir vor Augen geführt, wie falsch ich immer lag. Denk mal darüber nach:

 

Hast du vielleicht auch falsch gelegen? 

 

 

Übersetzung aus dem Englischen: Christian Werthschulte

 

 

 

Rabia A. Shah ist 17 Jahre alt und besucht die Oberstufe des Ernst-Mach-Gymnasiums in Hürth. Vor drei Jahren ist sie mit ihrer Familie aus Pakistan nach Deutschland gekommen. 

 

Sie schreibt, seitdem sie 12 Jahre alt ist.


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