Reconstructing Song

Tiefenentspannt bleiben angesichts des Chaos, das um einen herumwabert: Das ist keine geringe Leistung. Aber innerhalb dieser Entspannungswellen nicht in schierem Wohlgefühl zu zerfließen, sondern aufmerksam und achtsam zu bleiben und sogar noch das Gefühl für die jeweils richtige Entscheidungen zu vertiefen: Das kann man gar nicht hoch genug bewerten. Es ist, pathetisch gesagt, die Magie des Dub.

 

Hey-O-Hansen haben in ihrer Musik diese höhere Form der tieferen Entspannung entdeckt und von Jahr zu Jahr raffinierter formuliert. Der hochkonzentrierte Dub des aus Innsbruck stammenden »Alpino-Dub«-Projekts von Helmut Erler und Michael Wolf ist dermaßen tiefenentspannt und bedient sich mit derart großer Selbstverständlichkeit der unterschiedlichsten Zutaten — von Minimal Techno der Berliner Schule bis Chanson —, dass man hilflos zu quasi-ethnologischen Vermutungen greift: Liegt es an der Tiroler Off-Lage? Oder ist die einzige legitime Art der »kulturellen Aneignung« diejenige, die von Anfang an die größtmögliche Distanz sucht und dabei den kleinstmöglichen Nenner findet?

 

Hey-O-Hansen ist Reggae — und Anti-Reggae zugleich. Techno und Non-Techno. Dancehall mit Kuschelecke. Sie entdecken das gemütliche Moment im Lässigen. Aber man täusche sich nicht, schlag-artig können sie jede Dancehall rocken. Das liegt vor allem an Wolfs genau abgezirkeltem Reggae-Drumming. Und daran, dass Erler mit den Modulationsrädchen seines Synthesizers direkt auf unsere Gehirnwellen einzuwirken scheint. Selten klang artifizielle Musik so organisch.

 

Eine andere universelle Musikgrammatik beherrscht Ka Baird. Die New Yorkerin hinterließ im Frühjahr in Brüssel auf dem renommierten Avantpop-Festival »Kraak« offene Münder: Mit Querflöte und extended vocal techniques formt sie einen Dub, der überall zu verstehen ist und gleichzeitig auf fast beängstigende Weise die Mensch-Tier-Grenze einebnet. Selten klang Musik so fremd und vertraut zugleich. Die King-Midas-Sound-Sängerin Kiki Hitomi schließlich verbindet bei ihrem Soloprojekt Waq Waq Kingdom mit bezaubernder Post-Tribal-Attitüde jamaikanischen Reggae mit japanischem 50er-Jahre-Pop.