»Bei uns geht es nicht nur um Musik«

Männer dominieren immer noch das DJ-Business. Die Brooklyner Booking-Agentur Discwoman arbeitet an einem überfälligen Paradigmenwechsel

»Ausschließlich Frauen zu repräsentieren, ist ein politischer Akt«, erklärt Frankie Decaiza Hutchinson gleich zu Beginn des Gesprächs. »Und dieser Akt ist mit der Hoffnung verbunden, die Musikindustrie nachhaltig zu verändern.« 



Wir befinden uns im Maria-Hernandez-Park im Herzen des Brooklyner Stadtteils Bushwick, der Heimat von Discwoman. Die Booking-Agentur bekam in den letzten zwei Jahren viel Aufmerksamkeit für ihre erfrischend direkte Kommunikation und ihr ausschließlich aus Frauen bestehendes DJ-Roster. Neben Hutchinson wird die Agentur von Christine Tran und Emma Burgess-Olson (besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Umfang) geführt. Die drei verstehen sich als Stimme für Produzentinnen und DJs, die sonst keine Stimme hätten. Und so betont Christine, dass sie zwar die Möglichkeiten des Kollektivs nutzen, um ihre Künstler zu pushen — also das Renommee der Agentur und den größeren Bekanntheitsgrad einzelner DJs aus dem Roster in die Waagschale der Bookingverhandlungen  werfen -, doch »im Kern geht es immer darum, die individuellen Künstlerinnen gebührend zu präsentieren.« 

 

Der Hype um ihre Agentur ist ihnen indes schon etwas unheimlich. Mit betont theatralischer Geste merkt Hutchinson an: »Es ist ein bisschen viel. Wir wären ehrlich gesagt froh, wenn es mehr Agenturen wie die unsere gäbe. Wir haben kein großes Team, machen nicht viel Geld und können nicht so viele Künstlerinnen aufnehmen, wie gerne zu uns kommen würden. Es müssten mehr Agenturen die Chancen wahrnehmen, die in der Differenz liegen.«

 

Auf die Frage, was denn eine Künstlerin haben müsse, um für das Discwoman-Roster in Frage zu kommen, antwortet Hutchinson: »Booking kann viel mit Popularität zu tun haben, denn man muss die Leute sprichwörtlich in die Tür bekommen, aber das heißt nicht, dass wir die Leute danach auswählen, ob wir sie gebucht bekommen würden. Wir stellen uns der Herausforderung, jede Norm in Frage zu stellen.« Burgess-Olson betont ergänzend, dass man nur mit Leuten zusammenarbeiten würde, die die Identität von Discwoman verstehen. 

 

Im Roster findet man neben Umfang unter anderem Ariel Zetina, Bearcat, Bonaventure, Ciel, DJ Haram, Juana, Mobilegirl, Riobamba, Serena Jara, Shyboi, Stud1nt und Ziur. »All diese Leute haben einen distinkten Sound«, bilanziert Burgess-Olson. »Ihre Mixe stechen heraus, sie sind profund.« Von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Discwoman ist ihre geografische und emotionale Heimat Brooklyn, jener New Yorker Borough, der in den letzten Jahrzehnten von Gentrifizierungswellen nachhaltig verändert wurde und trotzdem noch immer eine nicht versiegende Quelle an kulturellen Stimulationen ist. Hier haben sich die drei im Bossa Nova Civic Club kennengelernt, wo Hutchinson neben ihrem Engagement bei Discwoman als Bookerin tätig ist. 

 

Emma führt aus: »Die Konzentration unterschiedlichster Leute ist hier so hoch wie kaum woanders auf der Welt, weshalb das Potential für Dinge, die hier passieren können, eben auch sehr groß ist.« Wie so oft im Gespräch mit den dreien hat Hutchinson das letzte Wort: »Brooklyn ist ein magischer Ort. Ich lebe seit zehn Jahren hier und immer noch erlebe ich Momente, die mir den Atem rauben.« 

 

Erste positive Auswirkungen ihrer Arbeit können die drei vor Ort bereits beobachten, berichten sie erfreut. »Die Szene hat sich dramatisch verändert«, so Hutchinson. »Es gibt viel mehr Frauen in den Lineups als vor ein paar Jahren. Aber man darf nie vergessen, dass das nur hier in New York so ist, im Rest der USA sieht es noch immer ganz anders aus.«

 

Denn dass sich die Verhältnisse noch lange nicht zum besseren verändert haben, davon zeugt der Agenturalltag. Das beginnt bei  Bookern, die offensichtlich nur wegen des Hypes anklopfen und nicht wirklich die Idee hinter Discwoman verstanden haben, und endet mit den großen Festivals und Clubs, »wo sich die Leute nicht für die Veränderungen interessieren, die derzeit stattfinden, sondern nur für Geld«, attestiert Hutchinson. Doch letztlich kämen selbst diese »nicht daran vorbei, sich auf das einzulassen, was da draußen passiert, wenn sie relevant bleiben wollen«, merkt Burgess-Olson mit gesunden Selbstbewusstsein an. Noch müssen sich Discwoman allerdings mit »Gatekeeper-Shit« rumärgern, dagegen ankämpfen, dass an den Entscheiderpositionen noch immer viel zu oft Männer sitzen, die nichts, aber wirklich gar nichts kapieren. Davon zeugten letztes Jahr etwa in Deutschland sexistische Äußerungen wie die von Giegling-Label-Gründer Konstantin oder Johannes Heil, Dinge die Discwoman aktiv mitverfolgen. Im Umkehrschluss wehren sich Discwoman aber gegen zu große Erwartungen. »Die Leute verlangen so viel von einem — auch oft Sachen, die außerhalb unseres Gestaltungsrahmens liegen«, erläutert Burgess-Olson. »Beispielsweise klagen sie uns dafür an, wenn wir mit einem Brand zusammenarbeiten...« — an dieser Stelle wirft Hutchinson ein: »Wir haben nie behauptet, außerhalb des Kapitalismus zu agieren, denn das wär fake!« 

 

Discwoman ganzes Auftreten ist tatsächlich betont real — und eben auch realistisch. »Man kann die Welt nicht auf einmal verändern«, bringt es Burgess-Olson auf den Punkt. Und so arbeitet sie peu à peu daran, die Verhältnisse weiter zu brechen: mit Techno Mathematics (ihr Ausdruck für gleiche Gagen für alle) und Equing the Lineup (also die gleiche Repräsentation von Frauen und Männern). »Wir müssen uns nicht mehr jeden Tag beweisen«, setzt Burgess-Olson zum selbstironischen Schlusskommentar an. »Wir sind jetzt selbst Gatekeeper.«