Fotos: Manfred Wegener

Multiball und Mensa

Der Flipperautomat stellt den Dinosaurier unter den Unterhaltungs­geräten dar: aus der Zeit gefallen und viel zu schwerfällig, um zu überleben. Dennis Göttel hat ihn trotzdem ins Herz geschlossen. Als Juniorprofessor an der Universität zu Köln forscht er zur Kultur­geschichte des Ballspielgeräts. Wir haben einen Sack Münzen gewechselt und sind mit ihm flippern gegangen

»Jetzt stehst Du neben mir und wir flippern zusammen / Paul ist tot, kein Freispiel drin« (Fehlfarben)

Das Spiel an einem Flipper besitzt etwas Episches. Diese riesige, opulente Gerätschaft, vor der man sich angespannt und vorfreudig aufbaut. Ein ehrenvolles Duell; nur wer wild rüttelt, zeigt, dass er die Nerven verloren hat, und wird via »Tilt!« ausgeschaltet. Hier aber im Giga-Center, einem aller Tageszeit entbundenen Unort am Rudolfplatz, liegt die Kugel nun bereit. Aug’ in Aug’ mit dem »Indiana Jones«-Flipper, die Maschine bietet komplette Reizüberflutung: Lichter, Sprachausgabe, grelle Töne, blinkende Sirenen. High Noon.

 

»Jetzt zeig mal, was Du draufhast«, gibt das Gerät einem zu verstehen und allein vom Danebenstehen werden meine Handinnenflächen feucht. Gleich geht’s los, gleich knallt Dennis Göttel die Kugel ins Spiel. Seit Ende vergangenen Jahres hat er am Kölner Institut für Medien und Theater eine Juniorprofessur inne, ein Schwerpunkt ist die Kulturgeschichte des Flipperautomaten. Ob er an dem Gerät abliefern wird wie einer der Harlem Globetrotters auf dem Basketball-Court? Pirouette, Kunstschuss, eins, zwei, drei? Oder reden wir von einem hochverdichtetem Theoriewissen des Herrn Professors, der am Gerät nur ein Forschungsergebnis erzielt: »Game Over«? 

 

Der Kugelabzug des »Indiana Jones« ist einem Revolver nachempfunden. Göttel krümmt den Finger, die Kugel rast los. Wer sich mit ein wenig mit der Flipperei auskennt, weiß, welchen Stellenwert gerade das »Indiana Jones«-Modell in der Community hat: heiß geliebt, weit verbreitet. Ähnlich hoch in Gunst und Bekanntheit liegen nur »Addams Family« und »Medieval Madness«.

 

»Im Keller meines Vaters stand der ›Indiana Jones‹«, erzählt Dennis Göttel. »Das erzählt auch eine Degenerationsgeschichte: In den 80er und 90er Jahren hielt der Flipper in Privathaushalte Einzug.« Im Hobbykeller thronte eins der populärsten Ballspiel-Geräte? So hätte man selbst gern seine Jugend verballert, was man da gespart hätte! »Ja, eins der wesentlichen Elemente fehlte für mich. Geld in den Schlitz stecken müssen — also, musste ich auch, aber es kam unten wieder raus«, sagt Göttel und lacht. »Dabei ist die Münze ungemein wichtig. Beim letzten Groschen ist es noch kostbarer, wie lange eine Kugel im Spiel bleibt.« Klar, zu wenig Geld, das bringt doch überall Brisanz rein. In der herrschenden Unterhaltungsspielwelt von heute allerdings spielt dieser Faktor kaum eine Rolle. Auch das Candy-Crush-Handygame möchte an dein Portemonnaie, aber es belästigt einen nicht mit der Endlichkeit des Vergnügens. Denn so begrenzt die Kugeln beim Flippern sind, so unendlich sind heute die Leben im virtuellen Spiel.

 

Aber Flipperautomat und Universität — das muss man auch erst mal zusammenbringen. Mit zu wenig Phantasie klingt es wie purer Luxus, ja, sogar nach Spaß. Ist so was in Zeiten des berufsorientierten Turbostudiums überhaupt erlaubt? Göttel scheinen diese Vorbehalte vertraut: »Kulturwissenschaft bedeutet, dass alles zum Gegenstand werden kann und auch das Moment der eigenen Lust an den Gegenständen nichts ist, was man ausmerzen sollte.« Im besten Fall treffe sich das mit dem Erkenntnisgewinn. »Es gibt einen tollen Satz von Umberto Eco, der sagt sowas wie: ›Man kann nicht über den Flipper schreiben, ohne an ihm gespielt zu haben.‹ Der Adlerblick von oben kommt dem Gegenstand und dem, was er soziokulturell und affektiv bedeutet, nicht nahe«, so Göttel.

 

Abgefeuert! Die Kugel rast über das Tableau, angelockt und dann wieder weggeballert von Bumpern, Targets, Gummierungen. Göttel dreht die Hüften ein, wenn er dem Spielgerät besonders viel Wucht verleihen will. Ohnehin schon ein Wahnsinn, so viel Feinmechanik, auf die wieder und wieder eine Stahlkugel gebrettert wird. Die damit verbundene Wartungsanfälligkeit gehört zum Charme des Objekts dazu. Der Automat höhnt. Göttel guckt entschuldigend. Schon vorbei? Kann mal passieren. 

 

Allerdings nimmt der Flipperprof nicht für sich in Anspruch, auch Pinball-Wizard zu sein. Sein Forschungsprojekt ergab sich aus einem Beitrag für das »Wörterbuch kinematografischer Objekte«. Zum Motiv des Flippers stieß er auf so viel Material, dass klar war: Die große Kulturgeschichte des Flippers muss endlich geschrieben werden. »Der Flipper taucht zum Beispiel auch im französischen Film der Nouvelle Vague immer wieder auf, im bundesrepublikanischen bei Fassbinder oder Wenders«, erläutert er. »Dort ist die Verbindung eher die der Coolness, Flippern stellt Jugendkultur dar.« Man begegne in Schriften aus den 60er Jahren außerdem immer mal wieder kleinen Anekdoten, dass zum Beispiel erst Politplenum gewesen und man dann noch in die Kneipe gegangen sei — zum Flippern. »Das beschreibt eine linke Alltagskultur. Ganz anders das amerikanische Kino, wo Flippern viel stärker mit sozialer Devianz, mit Kriminalität und halbseidenen Gestalten verknüpft ist«, sagt Göttel.

 

Wir wechseln das Gerät. Göttel interessiert sich für den »Batman«, ein neueres Modell von Stern, dem einzigen noch aktiven Konstrukteur von Flippern. Die Firma aus Chicago arbeitet thematisch fast ausschließlich mit Franchise-Themen, vornehmlich Film. Das Gerät zur -Christopher--Nolan-Version des Fledermausrächers ziert eine Actionfigur des Jokers. Keine Ahnung, was man genau beleuchten oder treffen muss, um mit ihr in Interaktion zu treten. Müsste man länger dranbleiben, um’s zu kapieren. Aber will man das? Nein. Denn so dankbar jeder Flipperfreund dem Hersteller Stern ist, so wenig gelten dessen Modelle als besonders innovativ oder faszinierend. Auch dieser »Batman« ist ziemlicher Standard. Wer sich mit den wahren Kugelgenüssen konfrontieren möchte, besucht heutzutage sogenannte Flippermuseen, etwa in Neuwied. Private Sammler machen dort ihre Schätze zugänglich, basteln und restaurieren selbst.

 

Aus den Kneipen ist der Flipper fast verschwunden. Retten könnte ihn höchstens noch der Hipster mit seiner eitel zur Schau gestellten Liebe zum Unpraktischen, zum Mechanischen. Aber im Gegensatz zu sowas wie Vinyl besitzt der Flipper keinen ökonomischen Wert. Er ist heute wie damals ein Groschengrab, bloß mittlerweile vornehmlich für seine Besitzer. In mein kulturpessimis-tisches Blabla zu diesem Umstand will der Dinghistoriker nicht einstimmen. Er gibt zu bedenken, dass die Geschichte des Flippers schon immer über dessen Verschwinden erzählt wird, und zitiert den Text eines marxistischen Post-Operaisten, der das Fade-Out der Flipper-kultur im Kontext sieht vom Übergang von fordistischen zu post-fordistischen Arbeitsmodellen. Operaismus? Post-fordistische Arbeitsmodelle? Diese Worte dürften selten in dieser Spielhalle fallen.

 

Neben uns prügelt ein Heranwachsender gegen eine elektronisch gemessene Boxbirne, um seine Kraft zu testen oder besser: zu demonstrieren. Göttel dreht sich genervt um, schaut strafend. Ich muss grinsen, vor allem als ich merke, wie ihm bewusst wird, dass wir nicht an der Uni sind. Wir sind zu Besuch in einem der letzten Kölner Flipperreservate. Hier ticken die Uhren und die Besucher anders. Culture Clash! Kann man bestimmt auch ein Seminarthema draus machen. Aber vorher spielen wir noch einen. Extraball leuchtet.