Foto: Pascal Nordmann

Viel Ehr, noch mehr Arbeit

Köln feiert den Tag des Ehrenamts. Das freiwillige Engagement dient aber vor allem dazu, Lücken im Sozialstaat zu stopfen

Der September ist Erntemonat, nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für einige der 30,9 Millionen Menschen, die sich in Deutschland ehrenamtlich betätigen. Während der »Woche des bürgerschaftlichen Engagements« dürfen sie für ihre Mühe — laut Statistischem Bundesamt 3,3 Milliarden geleistete Jahresarbeitsstunden — Preise und andere Streicheleinheiten einsammeln. In Köln ist am 2. September Ehrenamtstag. Auf dem Heumarkt feiert Oberbürgermeisterin Henriette Reker, flankiert von einer Samba-Band und den Bläck-Fööss-Mitgliedern Hartmut Priess und Bömmel Lückerath, die elf dies-jährigen Ehrenamtspreisträger der Stadt und die rund 200.000 Menschen, die sich in Köln ehrenamtlich engagieren.

 

Preisverleihung und Heumarkt-Fest gibt es bereits seit 2001. Das Datum ist kein Zufall, denn der Hype um das Ehrenamt setzte um die Jahrtausendwende ein, als öffentliche Dienste abgebaut wurden und man den angeblich nicht mehr bezahlbaren Sozialstaat zurechtstutzte. Damit einher gingen die Ausweitung prekärer Beschäftigungen und des Niedrigstlohnsektors, schließlich Hartz IV — diese »Reformen«, begonnen unter Helmut Kohl und unter Rot-Grün fortgeführt, schränkten öffentliche Leistungen ein und sorgten gleichzeitig für eine wachsende Zahl Armer und Bedürftiger. Um die Kollateralschäden dieser Politik abzumildern, ist seitdem ehrenamtliches Engagement gefragt, weit über das hinaus, was man früher darunter verstand: ehrenamtliche Funktionen in Vereinen, in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, als Schöffinnen oder im Katastrophenschutz.  

 

Trotz der bereits hohen Zahl Engagierter in Deutschland dürften es gern noch mehr sein. So jedenfalls die Botschaft, die bei Bundespräsident oder Kanzlerin anklingt, wenn sie in ihren Neujahrsansprachen den Freiwilligen danken. Oder wenn Lokalzeitungen über den Einsatz Ehrenamtlicher in Flüchtlingsunterkünften, Altenheimen, Schulen oder bei der Speisung von Obdachlosen berichten.

 

Bürgerschaftliches Engagement jenseits von Wahlen und Abstimmungen, die Anteilnahme an dem, was um uns herum geschieht, die Bereitschaft, mit anderen zusammen an einem guten, selbst bestimmten Leben für alle zu arbeiten, ist in einer Demokratie unverzichtbar. Auch die spontane Hilfsbereitschaft in Notlagen gehört dazu, sich bei Unfällen oder Katastrophen zu kümmern, sich angesichts der völligen Überforderung von Behörden und Kommunen 2015 der vielen Flüchtlinge anzunehmen. Problematisch wird es aber, wenn die Ressource Engagement instrumentalisiert wird, um die von der Politik geschaffenen Lücken in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu stopfen. Dann wird aus spontanem Engagement eine Dauerlösung, die auf Gratisarbeit basiert.

 

Frau F., Rentnerin, arbeitet mehrmals in der Woche ehrenamtlich in einem Altenheim der Caritas. Unter anderem hilft sie einem an Multipler Sklerose erkrankten Bewohner beim Essen. Diese Hilfe bekäme er auch von den Pflegekräften, allerdings auf seinem Zimmer und in der im Abrechnungskatalog der Pflegekasse dafür vorgesehenen Zeit von maximal 20 Minuten. Frau F. begleitet den alten Mann zum Essen in den Speisesaal und hilft ihm, ein Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Ein schönes Beispiel für menschliche Hilfe und Anteilnahme, die eigentlich zur Kernkompetenz von Pflegefachkräften gehört. Seit der Einführung der Pflegeversicherung mit eng getakteten Vorgaben für jede Verrichtung rechnet sich diese Art zeitaufwendiger Zuwendung nicht mehr. Sie wird an Ehrenamtliche delegiert.

 

Im Klettenbergpark pflügte das städtische Grünflächenamt im November 2013 das Rosenbeet um. Man habe kein Geld und zu wenig Personal, um sich um die Rosen zu kümmern, so die Stadt. In der Bürgerschaft sorgte das für viel Aufregung. Zwölf Anwohner und Anwohnerinnen waren bereit, die Pflege des Beetes zu übernehmen, wenn die Stadt neue Rosen pflanze. Im Februar 2014 war es so weit: Die Ehrenamtlichen schlossen einen Patenschaftsvertrag mit dem Grünflächenamt, in dem sie sich für mehrere Jahre zu dieser Arbeit verpflichteten. Einer der Freiwilligen erinnert sich daran, dass er in seiner Jugend, um das Jahr 1960 herum, in diesem Park »ständig mehrere Gärtner traf, die allein für die Rosen zuständig waren«, wie er in einem Leserbrief an den Kölner Stadt-Anzeiger schreibt. In den 90er Jahren kümmerten sich Menschen aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen um die Beete, dann wurden auch diese Stellen gestrichen. Der Rosengarten verfiel, bis die Freiwilligen aktiv wurden.

 

In Köln gibt es inzwischen rund 750 sogenannte Grünpaten, die sich um die Pflege von Baumscheiben, den Grüngürtel und Gewässer kümmern. Der Begriff »Patenschaft« ist dabei eine beliebte Umschreibung für Gratisarbeit. Überall, wo die Kommunen Geldprobleme haben, und das gilt für die meisten Großstädte, schultern Ehrenamtliche Aufgaben, die eigentlich von bezahltem Fachpersonal erledigt werden sollten. In sozialen Brennpunkten sind »Stadtteilmütter« und »Quartierlotsen« unterwegs, Freiwillige speisen Obdachlose, »Bildungspaten« helfen bei der Leseförderung, Ehrenamtliche verkaufen Souvenirs im Museumsshop. Vor allem Frauen sind in den sozialen und kulturellen Ehrenämtern aktiv, während Männer in den Bereichen Sport, Politik oder Katastrophenschutz überwiegen.

 

Um sie alle bei der Stange zu halten, werden die Aufrufe zur Gratisarbeit oft mit einem scheindemokratischen Versprechen versehen, zum Beispiel, dass die Freiwilligen Einfluss auf die Institutionen nehmen könnten, in denen sie tätig sind. Aber was kann die ehrenamtliche Helferin im Altenheim-Café schon am Pflegenotstand ändern, außer gratis ihre Arbeitskraft einzubringen? Welchen Einfluß hat die Helferin bei der Tafel auf die soziale Notlage derjenigen, denen sie Obst und Gemüse über die Theke reicht, die Flüchtlingshelferin auf die Asylbehörden oder gar auf die Ursachen der Fluchtbewegungen? Selbstbestimmung, gar »Selbstermächtigung« werde gefördert, sobald »der Bürger vom Leistungsempfänger und Konsumenten zum aktiven und relativ selbst bestimmten Koproduzenten im System des gesellschaftlichen Bedarfsausgleichs« werde, wie es im Ersten Engagementbericht der Bundesregierung 2012 heißt.

 

»Selbstbestimmung« und der ebenso häufig beschworene »Eigensinn« des Engagements stoßen jedoch schnell an Grenzen, sobald der Eigensinn der Bürger kommerziellen Interessen in die Quere kommt. Wenn es um Proteste gegen Luxussanierung und den Abriss alter Quartiere mit preiswerten Wohnungen geht, wenn Menschen im rheinischen Braunkohlegebiet die Reste des Hambacher Forsts vor den Baggern schützen wollen, winkt niemand mit einer Auszeichnung. Das Rosengartenteam vom Klettenbergpark wurde 2017 mit einem städtischen Ehrenamtspreis ausgezeichnet. Kalle Gerigk setzt sich seit Jahren für bezahlbaren Wohnraum in Köln ein. Einen Preis hat er dafür bisher nicht bekommen.