»Nie wieder Krieg«, 1924, Kreide- und Pinsellithographie, Plakat zum Mitteldeutschen Jugendtag in Leipzig 1924 | © Käthe Kollwitz Museum Köln

Gegen die Verhältnisse

Im Gedenkjahr zum ersten Weltkrieg zeigt eine umfassende

Ausstellung Käthe Kollwitz als linke Gesellschaftskritikerin

Käthe Schmidt erblickte das Licht der Welt im selben Jahr, als Karl Marx seine fundamentale Kritik des Kapitalismus, das »Kapital«, veröffentlichte: 1867. Im Käthe-Kollwitz-Museum ist anlässlich des 100. Gedenkjahres zum Ende des Ersten Weltkriegs eine Ausstellung zu sehen, die sehr informativ erläutert, warum es nicht bei dieser Koinzidenz geblieben ist. In einem historischen Bogen über die Lebenszeit der Künstlerin wird das ganze Drama dieses Zeitalters der Extreme durch über 200 Zeichnungen, Druckgrafiken, Plastiken und Plakate vor Augen geführt.

 

Bücher, Broschüren, Zeitschriften, Postkarten, Stadtpläne und Fotografien erläutern die sozialen, politischen und literarischen Kontexte der ausgestellten Werke. Wie die Kollwitz-Expertin Alexandra von dem Knesebeck ausführt, wurde Käthe schon früh in die Welt revolutionärer Ideen eingeführt. Ihr Großvater Julius Rupp war in der 1848er-Revolution aktiv und hatte 1846 die erste »Freie Gemeinde« gegründet, die im Unterschied zur Kirche die Gleichstellung der Geschlechter vertrat. Käthes Vater ermöglichte ihr eine künstlerische Ausbildung, was damals für Frauen die Ausnahme war. Durch ihren Bruder Conrad Schmidt, der einige Zeit in engem Kontakt mit Friedrich Engels stand, wurde ihr das sozialdemokratische Milieu im Kaiserreich vertraut. Schon früh las sie August Bebels Streitschrift »Die Frau im Sozialismus« und Karl Kautskys Popularisierung des »Kapital« von Marx. Aber ihr Werk speist sich nicht aus bloßer Theorie.

 

Hatten Käthe schon in Königsberg die proletarischen Gestalten dieser Hafenstadt fasziniert, so kommt sie ab 1891 in Berlin durch die Arztpraxis ihres Mannes Karl Kollwitz in Kontakt zu ärmeren und arbeitenden Frauen, deren Gesichtsausdrücke und Haltungen sie immer wieder einfangen wird. Vom kriegstreibenden Kaiser Wilhelm II. wird ihre Ästhetik der Armut als »Rinnsteinkunst« diffamiert. Der künstlerische Durchbruch gelingt ihr 1898 mit der Radierfolge »Ein Weberaufstand«, zu der sie Hauptmanns Theaterstück anregt. Nach einem spektakulären Streik von häuslichen Textilarbeiterinnen 1896 beschäftigen sich Gewerkschaften, Sozialreformer und die bürgerliche Frauenbewegung verstärkt mit dem »Heimarbeiterelend«. Für die Berliner Heimarbeit-Ausstellung von 1906, die als reformerische Kompromissveranstaltung konzipiert ist, gestaltet Kollwitz das Plakat. Es sorgt für Wirbel, weil es in bildlicher Sprache eindeutig das Elend dieser Ausbeutung zum Ausdruck bringt.

 

Breiten Raum nehmen ihre vom Ersten Weltkrieg und dessen Folgen angeregten Arbeiten ein. Durch den frühen Tod ihres jüngsten Sohns ist der Krieg zu einem ganz persönlichen Umbruch für sie geworden. Gegen Ende des Krieges wendet sie sich in einem leidenschaftlichen Appell — »Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen!« — im sozialdemokratischen »Vorwärts« gegen den suizidalen Durchhalteappell des von ihr eigentlich geschätzten Dichters Richard Dehmel. Ihr »Nie wieder Krieg«-Plakat von 1924 wird sie später weltweit als Pazifistin bekanntmachen. Zu sehen sind aber auch viele selten gezeigte Grafiken zum Krieg und der folgenden Not und Kinderarmut. 

 

Käthe und Karl begeistern sich für die Revolution im November, stehen aber dem Spartakusbund um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kritisch gegenüber und fürchten »russische Verhältnisse«. Trotzdem schreibt sie in ihrem Tagebucheintrag vom 8. Dezember, mit dem in der Ausstellung ihre berühmte Arbeit zu Liebknecht erläutert wird: »Ohne diesen steten Druck von links hätten wir den ganzen Militarismus nicht abgeworfen ... die Unabhängigen, die Spartakusleute sind … das eigentlich revolutionäre Ferment.« Nach der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht und der Großdemonstration zu ihrer Beerdigung hält sie den »Abschied der Arbeiterschaft von Liebknecht« in einem ihrer ersten Holzschnitte fest. Wie Von dem Knesebeck erläutert, könnte die oft als christlich gedeutete Symbolik auch auf den in einer Vitrine gezeigten Antikriegsroman »Das Feuer« von Henri Barbusse zurückgehen. Und auch wenn Kollwitz keine bekennende Feministin war, weil sie als guter Künstler und nicht als eine Künstlerin, die es auch »immerhin zu etwas gebracht« hätte, anerkannt werden wollte, zieht sich durch ihre Arbeit die Kernthese, dass es die Frauen und Mütter sind, die das Elend der Welt zu tragen haben.

 

Die Ausstellung ist sicherlich das Beste, was Köln dieses Jahr zum Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution zu bieten hat. Durch den präzisen und empathischen Blick der Künstlerin Kollwitz gewinnen die Alltagserfahrungen dieser Epoche eine eindringliche Visualität. So ist diese Ausstellung gelungene Kunst-Geschichte — nur schade, dass diese anspruchsvolle Aufarbeitung nicht in einem Katalog festgehalten werden konnte.