Säuberungen in Zukunft und Vergangenheit

Something Weird Cinema erfreut in Kalk mit einem langen »The Purge«-Abend: Die ersten drei Teile von James DeMonacos Kino-Serie  laufen direkt hintereinander. Die Grundidee der Filme: In den USA sind ab 2022 in einer »Säuberungs«-Nacht im Jahr alle Verbrechen staatlich erlaubt. »The Purge« (2013) kann man noch politisch ultra-ambivalent lesen, wobei dem aufmerksamen Betrachter schon klar sein konnte, dass in dem US-Indie-Schocker eher Faschismus vorgeführt als gutgeheißen wird. »The Purge — Anarchy« (2014) wirkt im Rückblick vor allem wie ein Klärungsakt: Ja, hier werden wirklich Klassengegensätze in knackigen Genretermini diskutiert, deren Ursachen, aber eben auch ihre Manipulation durch diejenigen, die die Macht zur Realitäts(um)schreibung im großen Stil haben. »The Purge — Election Year« (2016) geht dann in den Agitationsmodus über: Clintonartige Demokratin hält dem Ansturm der Todesschwadrone eines trumpartigen weißen Rassisten stand.

 

Was uns zu Jiří Krejčíks »Das höhere Prinzip« (1960) bringt, der in der Traumathek als Analogkopie gezeigt wird. Er bietet sich bestens als historisches Vergleichsstück an neben den »Purges«. Der Film spielt vor dem Hintergrund des gelungenen Attentats auf den »Reichsprotektor von Böhmen und Mähren« und SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich — und der darauf folgenden Rache der Nazis. Ein Lateinlehrer erweist sich als der einzige Mensch, bei dem Moral und Aktionswille im Einklang stehen — auch wenn das seinen Schülern nicht hilft. Sein Beispiel ist für die Zuschauer gedacht.

 

Auf eine kuriose Weise ist »Das höhere Prinzip« auch ein Genre-stück: In Osteuropa wurden antifaschistische Geschichten mit derselben Regelmäßigkeit und dem gleichen Bewusstsein für ein Genre-Regelwerk hergestellt, wie man es in der BRD mit Winnetou, nackten Vampirellas und Schulmädchen tat. Jeder drehte im Osten solche Stoffe, auch so ein Routinier wie Krejčík. Und es ist genau in dieser Erwartungshaltungswelt, in der einige der aufregendsten Polit-Gesinnungs-Perlen eben unter der Regie von Zweitreihentalenten entstanden.

 

Wer aber doch gerne einen genuin originellen Film hätte, sei auf Rolf Thieles großartige Moritat Brecht’scher Prägung »Das Mädchen Rosemarie« (1958) verwiesen. Im Gegensatz zum anderen offiziellen BRD-Klassiker jenes Jahres, Kurt Hoffmanns unsäglichem »Wir Wunderkinder«, wirkt er heute formal noch rasant-gewagter als damals, dabei inhaltlich von deprimierend bleibendem Belang.