Buddha im Schwitzkasten

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 200

Die Hitze macht mich bräsig. In den Zügen fallen die Klimaanlagen aus, wenn sie eigentlich den Betrieb aufnehmen sollten. Auch mein Kopf funktioniert nicht bei diesen Temperaturen. Mein Oberstübchen ist überhitzt, meine Gedanken dösen darin wie in einer Sauna. Diese Lethargie musste aufhören. Ich sagte mir: Tue was Verrücktes! Let’s get crazy! Warum nicht am heißesten Tag des Jahrhundertsommers in die Sauna gehen?

 

Ich war nie zuvor in einer Sauna. Gesine Stabroth sagte, Sauna sei »Entspannung pur«, bei jedem Wetter, und nahm mir die beiden Tagestickets aus der Hand, um sich Luft ins Gesicht zu fächeln. »Entspannung pur« kam mir verdächtig vor. Bei 90 Grad? Das mutet man heute nicht mal mehr stark verschmutzter Leibwäsche in der Waschmaschine zu. Mir brauch just der Schweiß aus.

 

Man muss unterscheiden zwischen Passiv- und Aktivschwitzen. Das eine gilt als eklig, das andere als sexy. In der Werbung sieht man Menschen in an Trimm-dich-Geräten hantieren. Der Aufwand ist ihnen Rechtfertigung, es einfach laufen lassen: Schwitzen — die Inkontinenz der Haut.

 

Wenn heutzutage die Arbeit immer körperloser wird, verlagert sich das Schwitzen in die Freizeit. So führt der Trend vom schicksalsergebenen Ausdünsten hin zur proaktiven Transpiration. Eine Kulturgeschichte des Schwitzens begönne als Strafmaßnahme in den kargen Landschaften des Alten Testaments im Schweiße deines Angesichts. Und sie endete in den spätkapitalistischen Saunalandschaften, wo Chill-out als Get together für High-Performer geboten wird: Schweißt zusammen.

 

Nimmt man das tätige Schwitzen im Fitnessstudio als Antithese zum erleidenden Schwitzen auf der Arbeit, dann kann man die Sauna als Synthese begreifen: Erholung von und zugleich Erholung für neue Mühen.

 

Man muss wissen, dass eine Sauna heute nicht mehr wie in den 70er Jahren jene klaustrophobische Fichtenholz-Klause ist, in die Hobby-Handwerker ihren Partykeller umbauten, nachdem die dortigen Exzesse zu sehr auf Lunge, Leber und Gemüt geschlagen hatten. Eine Sauna ist heute entweder ein Swinger-Club mit gewerberechtlich unklarem Status oder ein öffentlicher Themenpark rund um das Thema Ausdünstung, eben die Sauna-Landschaft. Es sieht dort aus wie in einem Vergnügungspark.

 

Angeblich stammt die Sauna aus Finnland. Wenn man aber hierzulande eine Sauna betritt, ist dort sehr wenig Finnisches zu sehen. Was man sieht, sind diffuse Anklänge an das Arabische oder den Südosten Asiens, versetzt mit phantastischen Ethno-Versatzstücken.

 

Während die finnische Sauna das Ornament meidet, feiert die öffentliche Sauna mit ihren Erlebniszonen den esoterischen Kitsch in sämtlichen Spielarten. Schwitzen wird hier zu einem metaphysischen Exerzitium. Es gibt Gong-Reisen, Massage mit Steinen auf dem Rücken, pentatonisches Gedudel und ayurvedische Smoothies als Stärkung für das nächste Brimborium. Man stolpert auch alle paar Meter über Buddha-Figuren, obgleich keine Empfehlung des Religionsstifters zum Saunieren überliefert ist. Falls Christian Wulff reüssieren will, empfehle ich ihm den Satz »Der Buddhismus gehört zu Deutschland«.

 

Gesine Stabroth sagte, sie könne nicht entspannen, wenn ich während der »Duftreise« so laut flüstern würde. Vor dem Kirschblüten-Aufguss trennten sich unsere Wege. Mir war alles schweißegal. Ich trank asiatisches Bier in der Sauna-Lounge. Stundenlang, im Schweiße meines Angesichts. Entspannung stur.