»The Guilty«

Gustav Möller liefert einen packenden ­Kammer­thriller

 

Ein Mann. Ein Schreibtisch. Ein PC. Ein Headset. Mehrere Telefone, darunter ein Handy. Eine erhöht stehende Lampe, deren gelegentlich rotes Leuchten als visuelles Besetztzeichen gilt. Das ist auch schon alles, was der Zuschauer in den nächsten anderthalb Stunden zu sehen bekommt. »The Guilty«, der neue Film des Dänen Gustav Möller, ist einer jener Thriller, in denen das Telefon als wichtiges Instrument der Spannungserzeugung fungiert. Zwei Menschen sind fernmündlich aneinander gekettet und können sich gegenseitig nur über Worte helfen. Man muss gar nicht weit zurückgehen in die Filmgeschichte, etwa zu Barbara Stanwyck in »Du lebst noch 105 Minuten« (1948). Um vergleichbare Filme aufzuspüren, reicht schon ein kurzer Blick zurück: Halle Berry in »The Call — Leg nicht auf« (2013) oder Tom Hardy in »No Turning Back« (2013). Filme, die die selbst auferlegten Beschränkungen von Ort und Zeit zur größtmöglichen Spannung nutzen. So auch Möller. Er erzählt die Geschichte von Asgor Holm, der in der Notrufzentrale arbeitet.

 

Routiniert nimmt er die Anrufe entgegen, weiß praktischen Rat oder schickt eine Ambulanz. Doch plötzlich meldet sich eine weinende Frau, deren Stimme kaum zu hören ist. Sie sei von ihrem Ex-Mann entführt worden, nur unter dem Vorwand, sich bei ihrer gemeinsamen kleinen Tochter zu melden, könne sie jetzt telefonieren. Und nun sieht und hört der Zuschauer dabei zu, wie Asgor die richtigen Fragen stellt: Welche Farbe hat das Auto? Wo könnte es sein? Wo sind die Kinder? Langsam setzt er Stück für Stück ein Bild der Entführung zusammen, das es ihm erlaubt, die Polizei zu instruieren. In zwischenzeitlichen Gesprächen mit Büro-Kollegen erfahren wir auch, dass Asgor eigentlich Polizist ist und im Dienst einen Menschen erschossen hat. Morgen soll die gerichtliche Anhörung sein. Doch jetzt muss Asgor dieser jungen Frau helfen. Und dabei unterläuft ihm ein Fehler.

 

Auch Gesichter können Geschichten erzählen. Bewundernswert, wie Hauptdarsteller Jakob Cedergren den Film fast alleine trägt: Ärger, Zorn, Ungeduld, aber auch Trauer, Zweifel und Tatkraft — all das ist in seiner Mimik und im Tonfall seiner Stimme enthalten. Die Kamera saugt sich förmlich fest an seinem Gesicht, keine Regung entgeht ihr, nur selten öffnet sie das Bild, um Kollegen und Vorgesetzte zu zeigen oder den Umzug in einen anderen Raum zu ermöglichen. Die Gesprächspartner sieht der Zuschauer nie — er muss sich vorstellen, wie sie aussehen, wo sie sind, was sie machen. Und ob sie die Wahrheit sagen.

 

 

The Guilty (Den skyldige) DK 2018, R: Gustav Möller, D: Jakob Cedergren, Jessica Dinnage, Omar Shargawi, 88 Min. Start: 18.10.