Untergehakt im Speicher

 

 

Der Dia-Abend war immer eine teuflische Tortur. Geradezu dia-bolisch: Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, allesamt unbescholtene Bürger, wurden über Stunden mit Urlaubsbildern traktiert. Der Gastgeber mit seiner Entourage vor den Wahrzeichen der Metropolen, schwitzend an Stränden oder pausbäckig in Gebirgslandschaften, vor Eisbechern oder Jausenbrettchen, Heiterkeit vor-gebend für die Hundertstelsekunden einer geöffneten Kamerablende. Um die zu verkraften, wurde Alkohol, reichlich und hochprozentig, gereicht. Der Gastgeber: ein Hierophant, der seinen Mysten einen schweren Trank einflößt, um sie gefügig zu machen. Er wusste, dass die Gäste seines Dia-Abends ohne solche Wegzehrung nimmer den harten Marsch durch die nicht -enden wollende Bilderflut schaffen würden.

 

Zwar gibt es heute keine Dia-Abende mehr. Doch die Belästigun-gen haben ja nicht aufgehört. -Heute branden die Bilder aus dem -Leben anderer fortlaufend anstatt bloß an einem einzigen Abend an. Denn auch der unnötigste Schnapp--schuss wird verklappt in den digitalen Kanälen, die statt in Klär-anlagen auf unseren End-geräten münden. 

 

Es häufen sich in unzähligen Kopien gigantische wilde Reservoirs von Bildern an. Alles wird dokumentiert, archiviert, -ge-speichert.

 

Der Speicher war einst eine Art Keller, bloß unterm Dach. Ein Reservat des Ausgemusterten. Als ein solcher Raum war der Speicher fast aus dem Bewusstsein entschwunden, doch mit der Digitalisierung kehrte er verwandelt zurück. Wir häufen an, wir haben keine Zeit, eine Auswahl zu treffen. Wenn aber alles gespeichert wird, kommt dies seiner Vernichtung gleich. Es ist das Gegenteil dessen, was wir doch eigentlich bezwecken. Man sieht das ganz offenkundig im Bereich der Amateurfotografie. Je mehr Bilder angefertigt werden, desto weniger bekommen wir zu sehen. Ihre Anfertigung reißt uns aus dem Erleben, bloß um diese dann unbesehen zu speichern, oder sie rauschen durch, von anderen bestenfalls registriert, nicht betrachtet. 

 

Ein Unbehagen daran äußert sich in einer seltsamen retrofuturistische Sehnsucht nach dem Überkommenen, Unzweckmäßigem. Deshalb sind die Trödelmärkte überlaufen, und deshalb will nun jeder eine Sofortbildkamera haben. Die Nachfrage steigt, meldet die Fotoindustrie. Kaum noch eine Party scheint derzeit möglich, ohne dass jemand mit einer Sofortbildkamera die Gäste nötigt, zu grimassieren oder sich bei anderen unterzuhaken. Klick, wedel-wedel, kicher. Eigentlich nimmt diese Art der Unterhaltung einen ebenso in Beschlag wie das Handyknipsen, das jeden Moment zerstört und das Erleben durch Dubletten ersetzt.  

 

Neu ist nur, dass sich in der Sofortbildfotografie die moderne Gier nach sofortiger Verfügbarkeit mit der Sehnsucht nach Einzigartigkeit vereinigt. Es ist falsch zu glauben, darin zeige sich ein Überdruss am Digitalen.

 

Und wenn Gesine Stabroths beste Freundin Tine die Geburtstagsfeier in unzähligen Polaroids festhält und ihr dann in einem -Album zum Geschenk macht, dann beschenkt sie sich nur selbst für ihr scheinbares Ausscheren aus dem Gängigen. 

 

Die Sofortbildkamera aber ist nur ein Anfang. Bald wird es eine Renaissance des Dia-Abends geben. Dieser Trend wird sich zum einen speisen aus echt empfundener Nostalgie als Symptom des Unbehagens und zum anderen aus Ironie, um diese Verzweiflung als Coolness zu kaschieren. Hinzu kommt eine Möglichkeit, die nur der Dia-Abend bietet: Die Gäste sind gezwungen, sich die Bilder anzuschauen, es gibt dann kein Entkommen mehr. Nur der Gast-geber eines Dia-Abends kann wirklich sicher sein, wahrgenommen zu werden.