Rolf Dieter Brinkmann fordert die Galeristen des 2. Kölner Kunstmarktes zur Solidarität auf, 1968 Privatarchiv Dorothee Joachim, Foto: Jens Hagen

Der Markt macht die Revolution

Was bewegte »1968« die Kölner Kunstszene und wie begeht sie das Jubiläumsjahr?

 

Gerne wird 1968 zu einem Aufbruchs- oder Umbruchsjahr verklärt, so auch in Köln und seiner Kunstszene. Doch diese ist 1968 nicht wirklich von einem klassenkämpferischen oder künstlerischem Aufbruch bestimmt. Manche Künstler schlossen sich den weltweiten antikapitalistischen wie antiamerikanischen Protesten an, punktuell auch der lokal sehr aktiven Anarcho- und Studentenszene. Generell jedoch agierten die Kölner Künstler weder als breite revolutionäre Front in Solidarität mit der Arbeiterschaft noch hatten sie einen Anführer, wie etwa Paris 1968 seinen Jean-Jacques Lebel.

 

Die ästhetische Protesthaltung — in Paris suchte die Situationistische Internationale die radikale künstlerische Entgrenzung, distanzierte sich von Strömungen der Moderne wie Surrealismus und Futurismus — war in Köln eine Vertiefung der subversiv anmutenden Praktiken von Fluxus und Happening, inklusive der fröhlichen Grenzüberschreitung zwischen E- und U-Kultur sowie den tradierten Gattungen. Happening-Kunst und Anti-Kunst-Manifestationen erlangten eine gewisse Popularität und Museumsreife. Medienkunst erfuhr, nicht zuletzt durch die hier bereits starke Szene der Neuen Musik mit Komponisten wie John Cage und Karlheinz Stockhausen, eine besondere Ausprägung. Der genreübergreifende »Labor e.V.« mit Mauricio Kagel etwa widmete sich der »Erforschung akustischer und visueller Ereignisse«. In diesem Sinn hatte sich seit Beginn der 60er Jahre auch eine der wenigen bedeutenden Künstlerinnen der Kölner Szene engagiert: die Mitbegründerin der Fluxus-Bewegung Mary Bauermeister.

 

Die 1968 einflussreiche Pop Art, vor allem die mit ihr gerne verknüpfte Verflechtung von Kunstmarkt und Finanzwelt, löste viele Proteste aus. So kritisierte Friedrich Wolfram Heubachs Magazin für Kunst und Kunsttheorie Interfunktionen in seiner Erstausgabe die kuratorische Ausrichtung der vierten Documenta mit ihrem Pop Art-Schwerpunkt: Zu marktorientiert und konservativ sei die — mit gezielten Störmanövern von etwa Jörg Immendorff und Wolf Vostell eröffnete — Großveranstaltung in Kassel, sie vernachlässige aktuellere Kunststrategien wie Happening, Fluxus oder »Intermedia«.

 

Das politisch eher weniger radikale Engagement der Kölner Künstler könnte durchaus damit zu tun haben, dass sich die Stadt zur Kunsthandelsmetropole mauserte. 1967 hatte der »Verein progressiver deutscher Kunsthändler e.V.« mit tatkräftiger Unterstützung des charismatischen Kulturdezernenten Kurt Hackenberg die erste Kunstmesse der Welt im Gürzenich durchgeführt. Bedeutende Galerien zogen nach Köln, Händler wie Sammler dynamisierten die Kunstszene. So auch der Chefrestaurator des Wallraf-Richartz-Museums und spätere Kunstsammler Wolfgang Hahn mit seiner Sammlungsausstellung im eigenen Haus unter dem spektakulären Titel »Kunst an der Grenze«. Im Herbst wurde dann bekannt, dass dort die Sammlung von Peter Ludwig mit 70 Werken der Moderne als Dauerleihgabe einziehen wird. Am 10.2.1968 titelte die Rundschau: »Köln, heimliche Hauptstadt des Kunsthandels«. Überspitzt formuliert, war der Kunstmarkt mit seinen in der Regel männlichen Mitspielern der eigentliche Protagonist von »Köln 1968«. 

 

Dies verhinderte allerdings nicht, dass viel Aufmüpfiges und Widerständiges den Ton in der -Kölner Ausstellungslandschaft bestimmte. So zeigte Wolf Vostell bei einem Soloauftritt in der Galerie Hake einige von ihm zur Kunst verfremdeten Dutschke-Fotos; die Galerie Zwirner zeigte Anti-Pop und Anti-Kunst. Zur Party mit Hippies wurde in der Tiefgarage der damaligen Schweizer Ladenstadt eingeladen. Im Herbst organisierte der Buchhändler Michael Siebrasse den Gegenentwurf zur Kölner Kunst-messe: den festivalartigen »Neumarkt der Künste«. Zu regelrechten Krawallen kam es schließlich auf der messebegleitenden Veranstaltung von Birgit und Wilhelm Hein: Ihr in der lokalen Kunstszene sehr angesagtes Kölner Studio für den unabhängigen Film »XSCREEN« zeigte im U-Bahn-Rohbau am Neumarkt u.a. Otto Muehls Experimentalfilm »Satis-faction«. Er wurde von der Polizei — natürlich gegen heftigen Widerstand — wegen Jugendgefährdung beschlagnahmt. Selbst die an sich konservative Kölner Studenten Union brachte Polit-plakate aus dem Pariser Mai mit unmissverständlich agitatorischen Motiven und Slogans auf den zweiten Kölner Kunstmarkt.

 

Fünfzig Jahre später scheint 1968 die Kölner Kunstszene nur sporadisch zu beschäftigen. Bei den Galerien ging Thomas Rehbein auf das Jubiläumsjahr mit dem Soloauftritt des US-Künstlers William Anastasi ein. In diesem Monat eröffnet nun »Köln 68! Protest. Pop. Provokation« im Kölnischen Stadtmuseum mit einem breiten Panorama aller Proteste und Aktionen. Die in Kooperation mit dem Historischen Institut der Uni Köln entwickelte Schau blickt zurück auf widerstän-di-ge Einrichtungen wie den Repu-bli-ka-nischen Klub oder das »Politische Nachtgebet« in der Antoniter-Kirche. Äußerst aufschlussreich für die Kunstszene seien, so Kurator Stefan Lewenjohann, die SDS-Parolen im Gästebuch des Kölnischen Kunstvereins, aber auch das zentrales Ex-ponat der Ausstellung: Wolf Vostells allerdings erst 1969 geschaf-fene Aktionsplastik »Ruhenden Verkehr«. Sie repräsentiere besonders vielschichtig die Kritik an den damals wie heute fragwürdigen verkehrspolitischen Konzepten Kölns. Schließlich kreist die Ausstellung um die Frage: »Was ist von ’68 in Politik, Kultur und Alltag geblieben?« Diese ist so wenig eindeutig zu beantworten wie die Frage nach dem legendären Jahr selbst. In Wahrheit hat es viele 1968 gegeben — auch in der Kunst.

 

 

Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum »Köln 68! Protest. Pop. Provokation« vom 20.10.–24.2.2019