Leidenschaftliche Unvernunft

Runde fünf Jahre dabei: zu Besuch bei den Leitern des Theater Tiefrot

Je mehr sich der Körper windet, desto tiefer schneiden die Ketten ins Fleisch. Zampano tritt als gefesselter Kraftmeier vors Publikum und präsentiert seinen schweißigen, nackten Oberkörper. Volker Lippmann spielt den Rummelplatz-Rambo aus Fellinis »La Strada« mit einer physischen Präsenz, dass schon allein der Schweißperlenflug eine Form szenischer Unmittelbarkeit garantiert, die man sonst im Theater selten erlebt.

Die Anfänge

Seit fünf Jahren betreibt Volker Lippmann das Theater Tiefrot im Untergeschoss des Hopper Hotels in der Dagobertstraße im Kunibertsviertel. Zusammen mit Günter Overmann, der seit einem Jahr mit in der künstlerischen Leitung arbeitet, treffen wir uns zum Gespräch im hoteleigenen Café Fritz. »Ich mag diese Location hier sehr«, sagt Volker Lippmann und meint den Zusammenklang aus Theater, Hotel, Café und beschaulichem Garten. Dass er das Theater Tiefrot leitet, ist allerdings einem Zufall entsprungen. Lippmann inszenierte damals ein Stück an der Freien Literaturbühne. Nach der Vorstellung kam er mit dem Besitzer der Hopper-Hotels Jörn-Carsten Bube ins Gespräch, der im Heizungskeller seines Hotels ein kleines Theater einrichten wollte. Ergebnis nach einigen Treffen: Im April 2002 eröffnete Lippmann zusammen mit der Schauspielerin Christine Sohn, die zuvor mit Altmeister Roberto Ciulli gearbeitet hatte, das Theater Tiefrot.

Mitten im Publikum

Zum Einstand spielten sie Brechts »Baal«, später folgte der alkoholselige Männer-Monolog »Erica P« sowie die intensive Aufführung von Oliver Reeses »Bartsch. Kindermörder«. Drei Produktionen, die einen mikroskopischen Blick in die menschliche Seelenlandschaft wagten und dabei, bedingt durch den kleinen Bühnenraum, mit permanenter szenischer Großaufnahme arbeiteten. Bis heute spielt das Tiefrot meist mitten im Publikum. Die Nähe zum Zuschauer und die Variabilität des Raumes, sind für Günter Overmann das große Plus des Tiefrot. Auch wenn das Haus selten mehr als siebzig Besucher unterbringt – zu wenig, um erfolgreich wirtschaften zu können.

Wenn Volker Lippmann heute an den Beginn zurückdenkt, spricht er von Naivität. Er hat geglaubt, mit ein paar Vorstellungen über die Runden zu kommen. Rund 40.000 Euro an TV-Gagen hat er als Anschubfinanzierung ins Theater gesteckt. »Dabei ist es nicht geblieben, das ging vier Jahre so weiter.« Bis heute bekommt das Theater Tiefrot keine institutionelle Förderung von der Stadt, was Lippmann zum Teil auf seine eigene Kappe nimmt. Trotzdem beläuft sich der Jahresetat auf etwa 120.000 Euro, 20.000 davon sind durch öffentliche Zuschüsse wie Projektgelder oder Abspielförderung gedeckt, der Rest kommt durch Einnahmen, Spenden und privates Geld herein.

Klares Profil

Dass Lippmann gleich zu Beginn einen potenten Sponsor verprellte, stört ihn bis heute nicht. Der nahm Anstoß an »Baal« und am Namen des Thea­ters, das an rote Zahlen und eine politische Stoßrichtung erinnere. Was Letzteres angeht, hatte der Mann nicht unrecht. »Das war klar von uns so gedacht«, sagt Lippmann zum Brecht-Auftakt und weist auf Autoren wie Camus, Schiller, Schimmelpfennig oder Mamet hin. Eine zweite wichtige Säule des Spielplans sind die Film- und Literaturbearbeitun­gen des Dramaturgen Gerold Theobalt, der Fellinis »La Strada« und Bertoluccis »Letzten Tango« adaptiert hat. Dazu kommt die regelmäßige Zusammenarbeit mit dem TKO Theater unter Nada Kokotovic sowie mit den Regisseuren Ali Jalaly und Wolfram Zimmermann. Aus der Mischung der Handschriften hat sich inzwischen ein Profil heraus­geschält, bei dem das Politische zwischen Lippmanns sinnlicher Unmittelbarkeit und der interkulturellen Prägnanz des TKO Theater changieren kann. Das möchte man innerhalb der Kölner Szene nicht mehr missen.

Echte Leidenschaft

Keine Frage, Volker Lippmann ist ein Theaterbesessener. So leichthändig er im Gespräch über manche Probleme des Tiefrot hinweggeht – die Koketterie ist letztlich nichts als Camouflage seiner Leidenschaft. Nach seiner Ausbildung an der Essener Folkwang-Hochschule war er in Oldenburg und Moers engagiert, hat danach am Hamburger Schauspielhaus und bei Hans-Günter Heyme in Stuttgart gespielt. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet der heute 54-Jährige frei und verdient sein Geld hauptsächlich mit Serien beim Fernsehen. Geld, das er dann ins schwarze Loch des Tiefrot wirft.

Anfang 2006 war allerdings erst mal Schluss mit lustig. Lippmann hatte den Mietvertrag bereits gekündigt, da trat der 49-jährige Autor und Regisseur Günter Overmann auf den Plan. »Wir haben angefangen, die Organisationsstruktur zu ändern«, erzählt der heutige Ko-Leiter. Die Schauspielerin Juliane Ledwoch kümmert sich jetzt um Management und PR, die Zusammenarbeit mit Besucherorganisationen wurde intensiviert, ein Träger- und ein Förderverein ins Leben gerufen und Komödien wie »Gatte gegrillt« oder »Nervensägen« in den Spielplan aufgenommen. Das Haus hat sich damit etwas konsolidiert, so dass das Team die neue Saison erstmals mit erfolgreichen Wiederaufnahmen eröffnet. Erst dann folgen als Premieren die »Wahlverwandtschaften« sowie Camus’ »Belagerungszustand«, das TKO Theater zeigt Tnea Sevicics »Fragile«, Ali Jalaly inszeniert Morton Rhues »Die Welle«.

Alles fürs Theater

Am Ende unseres Treffens bricht es aus Volker Lippmann hervor: »Ich liebe dieses Theater, ich will es erhalten, und ich kämpfe dafür.« Sagt’s und macht sich auf nach Frankfurt/ Oder, wo er für die Serie »Hallo Robbie« in einen kalten Teich springen und sich von einer Robbe retten lassen muss. Klar, alles nur fürs Theater.

Termine im Tiefrot:
»Die Grönholm Methode« von Jordi Galceran,
R: Wolfram Zimmermann, 29.-31.8., 20.30 Uhr.
Die Premiere der »Wahl­verwandtschaften« folgt am 21.9.