»Ich habe mit Gewalt wenig am Hut«

Melanie Raabe hat mit »Der Schatten« einen vielschichtigen Thriller geschrieben. Auf der Crime Cologne stellt sie ihn vor

Der Journalistin Norah wird ein Rätsel gestellt: Sie werde am 11. Februar einen Mann namens Arthur Grimm töten, raunt ihr eine mysteriöse Bettlerin auf der Straße zu. Nur eine Spinnerin?

 

Oder weiß die Frau etwas, von dem Norah nichts ahnt? Je mehr sie recherchiert, desto mehr Fragen tauchen auf — und desto deutlicher zeichnen sich die Konturen des Alptraums ab, in den Norah gerät. Melanie Raabes dritter Roman »Der Schatten« spielt virtuos mit Opfer-Täter-Zuschreibungen. Eine Geschichte, die nicht bloß ein packender, cooler Psychothriller ist — sondern auch ein deutlicher Kommentar zu Macht und Machtmissbrauch.

 

 

Frau Raabe, Sie haben Ihre Stoffe mal als unblutige Thriller bezeichnet — warum das?

 

Es mag widersprüchlich klingen für all jene, die mit dem Genre Thriller zunächst einmal harte Bücher über Serien-killer assoziieren, aber ich habe mit Gewalt wenig am Hut. Ich lese nicht gerne Bücher, in denen Gewalt exzessiv und manchmal sogar als Selbstzweck dargestellt wird. Dementsprechend schreibe ich so etwas auch nicht. 

 

 

Und was reizt Sie an Thrillern, an Spannungsromanen?

 

Mich interessieren an der Spannung vor allem die Mittel. Ich arbeite sehr gerne mit Cliffhangern, unzuverlässigen Erzählerinnen, überraschenden Wendungen. Und mich interessieren Geheimnisse. In meinen Büchern gibt es für gewöhnlich ein großes Rätsel, das meine Leserinnen und Leser im Idealfall unbedingt auflösen wollen. So etwas zu kreieren, macht mir unglaublich viel Spaß.

 

 

»Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Mit gutem Grund. Und aus freien Stücken.« Das sagt eine merkwürdige Bettlerin zu Ihrer -Heldin, der Journalistin Norah. Damit heben Sie das Täter-Opfer-Schema auf.

 

Ob es mir gelingt oder nicht, ich will immer, dass sich irgendetwas an meinen Büchern frisch anfühlt. Diese Prämisse, dass meine junge Protagonistin sich nicht in Angst und Schrecken versetzt fühlt, weil sie sich bedroht fühlt, sondern weil sie selbst die Bedrohung ist — das fand ich cool. Ich mag das, was ich selbst What the fuck?!-Momente nenne. Wir alle lesen so viel, schauen so viele Filme und Serien. Das führt dazu, dass viele oft schon ahnen, wo es spannungsmäßig hingeht. Entsprechend aufregend ist es, sein Publikum völlig zu überraschen. Und dafür braucht es eine interessante Idee.

 

 

»Der Schatten« ist ein Roman zur #metoo-Debatte. Richtig?

 

Nicht wirklich. Ich habe den größten Teil des Buches geschrieben, bis #metoo durch die Medien ging. Aber es ist ja auch nicht so, als hätte es Machtmissbrauch nicht schon vor #metoo gegeben. Vielleicht lag das Thema in der Luft. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit spielen auf jeden Fall eine große Rolle in meinem Roman. Tatsächlich haben auch reale Ereignisse, die ich verarbeiten musste, während ich schrieb, Einfluss auf die Geschichte genommen. Der Amtsantritt von Donald Trump beispielsweise — und alles, was er mit sich brachte. Oder der Einzug der AfD in den Bundestag. Ich weiß nicht, ob es sich überträgt, aber ich war 2017, während ich schrieb, oft ziemlich wütend. 

 

 

Sie sind zunächst in der DDR, dann in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, Ihr Vater stammt aus Benin — wie schauen Sie auf die gesellschaftlichen Debatten?

 

Mit einer Mischung aus wachsender Sorge und unerschütterlichem Optimismus. Ich habe das Gefühl, dass der Ton sehr schnell sehr viel rauer geworden ist und dass die Sitten mancherorts scheußlich verrohen. Aber die Gegenbewegung wird kommen, und ich habe dringend vor, ein Teil davon zu sein.

 

 

Sie haben sich in letzter Zeit häufiger auch zu gesellschaftlichen -Fragen Stellung bezogen, insbesondere beim Protest gegen den geplanten AfD-Parteitag in Wiehl. Geht es darum — jetzt Position zu beziehen?

 

Absolut, ja. Ich bin im Kern ein -introvertiertes Sensibelchen. Für gewöhnlich will ich nie etwas anderes tun, als daheim ein Buch zu lesen oder mit ein, zwei Menschen, die ich mag, irgendwo im Café ein Glas Wein zu trinken. Ich bin harmoniesüchtig. Aggression stößt mich ab. Menschenmassen sind mir unangenehm. Aber ich habe das Gefühl, dass es aktuell alle positiven Energien braucht, um unsere Gesellschaft human und unser Land lebenswert zu erhalten. Also muss auch ein schüchterner Nerd wie ich tun, was er kann. Und wenn das nur heißt, den Diskurs nicht zu scheuen, auf Demos zu gehen, Veranstaltungen zu organisieren und Haltung zu zeigen.

 

 

 

Lesung
Do 4.10., Sancta-Clara-Keller, 20 Uhr

 

Roman
Melanie Raabe, »Der Schatten«, btb, 416 Seiten, 16 Euro

 

Crime Cologne
1.–7.10., verschiedene Orte, crime-cologne.eu