Projekt Menschwerdung

Nach sieben Jahren meldet sich PeterLicht, der große schrullige Intellektuelle

unter den Kölner Deutschpoppern, mit »Wenn wir alle anders sind« wieder

zu Wort. Und zeigt erstmals auch Gesicht

Ziemlich viel Zeit ist verstrichen seit deinem letzten Studio-Album. Warum? Für mich fühlt sich das schon an wie eine Neuerfindung. Die Erzählung davor war irgendwie auserzählt. Nach den ersten Platten, die man macht, denkt man: Da kannst du jetzt sterben. Dieses auch furchtbare Gefühl hat natürlich eine irrsinnige Kraft, die dann aber weggeht. Irgendwann hab ich wieder gemerkt, wie toll Musik eigentlich ist, was es für Möglichkeiten gibt, daraus hat sich eine neue Begeisterung entwickelt. Ich habe nie eine richtige Pause von der Musik ge-macht, aber ich habe gemerkt, dass das irgendwann schal werden kann, wenn man immer das Gleiche in Grün von sich gibt. 

 

 

Was war denn genau auserzählt? Zum Beispiel die Melancholie und das Draußenstehen. Ich bin jetzt viel mehr teilnehmender Beobachter — mittendrin. Es geht eher darum, po-litisch zu sein, die Möglichkeiten zu nutzen. Hier bin ich und ich möch--te das sagen, weil ich ein Be--dürf--nis habe, mich rauszuwagen und eine Behauptung aufzustellen. »Die Emotionale«, eine Reverenz an »Die Internationale«, dem Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung, ist eines der wichtigsten Stücke auf der Platte. Wenn ich diese Figuren von der AfD, dieses ganze Völ-ki-sche und diese böse Energie betrach-te, dann ist das eine Reaktion darauf oder ein Kommentar — zu den Themen Flucht, Grenze, Reinheit, Blut. Das empfinde ich als furchtbar.

 

 

Die Leute, um die es geht, wird es aber wohl kaum erreichen. So strate-gisch sehe ich das gar nicht. Es ist gut, wenn irgendwelche Stimmen in der Welt sind, die sich äußern, aber ich werde damit niemanden um-stim-men. Ich bin ja Sänger, kein Politiker. Es ist der Versuch, in ein Gefühl rein-zugehen, dessen Ausgangspunkt »Die Internationale« ist, eine roman-tische Sehnsucht nach einer gerech-ten Welt, aber ich biete keine klare Position an, von wegen: Seid gute Menschen und nehmt Ausländer auf. Oder umgekehrt: Das ist böse.

 

 

Während es früher keine Bilder von dir gab und PeterLicht eine gesichts-lose Figur war, hast du dich in den vergangen sieben Jahren ja auch als Künstlersubjekt »geoutet«. Auch diese Geschichte hatte sich auserzählt, obwohl ich die Anonymität zu Beginn total notwendig und als State---ment wichtig fand. Die Zeiten ändern sich, Pop und die Weltwahrnehmung. Ich wollte etwas anderes machen. Dass es Bilder von mir gibt, ist für mich die Fortführung dieser Art von Neuerfindung. Früher habe ich das krass durchgezogen, Interviews nur über Telefon mit Stimmverfremder gegeben, das war ein Riesenspaß. Aber ich liebe es eben auch, unterwegs zu sein, Live-Musik zu spielen. Für mich gilt das Biermannsche Motto: Nur wer sich verändert, bleibt sich treu. Wenn ich mich politisch äußern möchte, kann ich das nicht mit einer Unsichbarkeit machen, das ist zu indifferent.

 

 

Das Album wirkt auf mich offener — auf eine konsequente musikalische Inszenierung wurde verzichtet, statt--dessen für jedes Lied ein anderer Mantel gewählt. Wir haben verschiedene Stilmittel getestet und zusammengerührt. Ich war damit natürlich solange beschäftigt, dass ich jede Frequenz des Albums ken-ne, deshalb ist es für mich aus ei-nem Guss. Die Quelle ist Minimalismus und eine gewisse Gradheit, etwas Kantiges, Stimme und Rhyth-men sind aber ziemlich unterschied-lich eingesetzt. Es ist eine Reise durch verschiedene Bereiche, es gab die Songs und es stellte sich die Frage, wie man sie am klarsten zu dem be-kommt, was sie sind. Ich habe die Platte gemeinsam mit Benedikt Fille-böck (auch bei Wolke, Keshavara, Anm. d. Verf.) produziert, worüber ich sehr froh bin, da er ein großartiger Musiker ist. Da steckt ein großer Anteil von ihm mit drin, er ist in der Lage, Dinge aufzunehmen und damit zu arbeiten.

 

 

Der Autotune ist zwanzig Jahre nach Cher sehr präsent auf dem Album. Ist das als Kontrapunkt zu deiner Menschwerdung zu verstehen? Es war die Idee, die Dinge auf links zu bürsten, eine andere Farbe auszuprobieren. Wir befinden uns im Zeitalter der Performance; Authentizität versus Performance versus Künstlichkeit, davon handelt Pop ja immer, deshalb hat der Autotune so eine Kraft: Er mechanisiert die Stimme, die eigentlich das authentische Element in der Popmusik ist. Es geht ja gerade darum, eine Welt aufzureißen, die nicht von dieser Welt ist. Die ganze Platte handelt auch vom Zweifel gegenüber dem Authentischen.

 

 

Fühlst du dich als Musiker in Köln verortet? PeterLicht ist als Kölner Pop-Phänomen singulär und man hätte das Projekt eher mit Hamburg oder Berlin assoziiert. Ich betrachte mich nicht als Teil irgendeiner Szene. Szene ist das Gegenteil von Freiheit. Aber ich schätze, wie man hier arbeiten kann. Wenn etwas von der Stadt auf mich abfärbt, dann die Liedtradition, die Krätzjer, dass Köln eine Stadt ist, die durch ihre Lieder lebt. Ich liebe diese damit verbundene Identität. Karneval als utopisches Statement der Freiheit finde ich groß: Alle sind gleich, es gibt kein oben und unten, alle begegnen sich. Man kann den Karneval nicht mit einer arroganten Attitüde überleben, da muss man untergehen.

 

 

 

Tonträger: »Wenn wir alle anders sind« erscheint am 19.10. auf Tapete Records

 

 

StadtRevue präsentiert: Konzert: 22.10., Gloria, 20 Uhr