»Manchmal fehlt Köln einfach der Wumms«

Das Akrobatenduo Overhead Project kam vor zehn Jahren nach Köln: eine Erfolgsgeschichte in der Freien Szene

Seit geraumer Zeit erweitern die Performer Tim Behren und Florian Patschovsky mit ihrem Duo Overhead Project auf erfreuliche Weise den herkömmlichen Tanzbegriff. Beide sind Artisten, die auch tanzen. Sie stehen einander auf den Schultern, Köpfen und Händen, finden in unmöglichen Lagen perfekte Balancen und auf scheinbar leichten Wegen wieder zurück. Mit dem Fokus »Politik und Geometrie« feiert die Compagnie im Oktober ihr zehnjähriges Bestehen mit einer Performance-Reihe an verschiedenen Aufführungsorten in Köln.

 

Ihr kamt frisch von der Brüsseler Zirkus-Hochschule ESAC, wart aber in Baden-Württemberg verwurzelt. Was reizte euch an Köln?

 

Wir dachten, da sind wir verkehrstechnisch gut angebunden an Brüssel, Paris, Berlin und an Freiburg, wo die Kompanie HeadFeedHands war, das lag uns aber zu sehr ab vom Schuss. Die Kölner Tanzszene war ein unverhofftes Geschenk für uns.

 

Ihr wurdet 2008 bekannt bei einem kleinen Festival im Orangerie-Theater mit »[How To Be] Almost There«, dem Duett aus dem gleichnamigen HeadFeedHands-Stück ...

 

Dann kam »Eh La« beim SoloDuo-Festival in Barnes Crossing, wo uns zwei Choreografinnen gecoacht haben. Auch durch den Support durch die Szene konnten wir hier zu dem werden, was wir sind. Seit 2018 erhalten wir die dreijährige Spitzenförderung vom Land NRW.

 

Auch das Zirkus und Artistikzentrum ZAK war wichtig. Dort hatte »Surround« 2017 Premiere: ein Pferd, ein schweres Turngerät, hängt von der Decke und schwingt und pendelt wie eine Gefahr oder ein Machtungetüm über den Menschen.

 

Dort gibt es die nötige Höhe. Als Rückblick zeigen wir beim Jubiläum auch »Carneval of the body« mit Florian und mir und das neue Stück »My body is your body«, das ich ohne ihn choreografiere. Er ist vor einem halben Jahr Papa geworden. Er zieht sich aus der Leitung raus, performt aber weiterhin. 

 

Wie definiert ihr Overhead Project? 

 

Das Label steht für den Zirkustanz als Genre. Wir arbeiten mit wechselnden Performern. Früher waren nur Flo und ich auf der Bühne. In »Surround« sind wir mit anderen, beim neuen  Stück gar nicht mehr dabei. Ich habe dafür, neben der Tänzerin Mijin Kim, ein Partnerakrobatenduo gesucht von derselben Hochschule und vom selben Lehrer wie wir — nur zehn Jahre jünger. Ich halte immer die Augen nach interessanten Zirkus- oder Tanzperformer/innen offen. Da wünsche ich mir in Köln manchmal ein bisschen Brüssel her. Oder ein Haus wie Kampnagel in Hamburg, als Inspiration, wo man Stücke aus allen Bereichen angucken kann. Aber gleichzeitig wünsche ich mir für Köln kein Kampnagel, weil der Koloss in der Freien Szene Hamburgs auch viel unterbindet.

 

Was ist mit den Ehrenfeldstudios, die Ihr Ende 2015 mit Kollegen gegründet habt?

 

Ein Heimatort. Doch für die Arbeit von Overhead Project fehlt ihm meist die nötige Höhe. Wir haben versucht, die Stadt-Land-Bund-Förderung »TanzPakt« für den Aufbau eines Zirkuschoreographischen Zentrums zu bekommen. Etwas, das einen Schritt größer ist. Ein Traum. Wir versuchen es nochmal.

 

Einen Schritt größer?

 

Was die Vertikale angeht. Auch im übertragenen Sinne fehlt hier dieses »eins größer«. Die kleinen Räume, das Fraktionierte, das hat auch eine Qualität, doch manchmal fehlt
Köln einfach der Wumms. (lacht)

 

Ihr arbeitet und gastiert viel außerhalb. Was hört man da über Köln?

 

Wenige Leute waren schon mal hier. Ich bin dann immer verwundert. Es liegt doch so zentral. Aber wenn ich hier etwas veranstalte, muss ich Kollegen aus Berlin mehr bieten als einen einzelnen Workshop. Dafür nutze ich die Ehrenfeldstudios, auch für Rahmenprogramme, oft zum Thema Dramaturgie. Denn der zeitgenössische Zirkus ist, etwa in Frankreich, durch die Theatersicht geprägt und muss sich seinen eigenen Raum noch schaffen. 2017 gab es einen Ritterschlag für unser Genre in Deutschland: Es ist neue Sparte bei den Berliner Festspielen. Es passiert viel. Schön wäre es, auch in Köln so einen Leuchtturm zu schaffen.

 

Ihr wart als Gastchoreografen an Stadttheatern tätig, in Heidelberg, Bern, Jena und Bielefeld.

 

Das wäre auch ein Traum: in Zukunft an einem Haus eine zeitgenössische Zirkuskompanie oder eine zwischen Zirkus und Tanz aufzubauen. Würde mich eine Intendantin fragen …  Aber ich wünsche mir auch ein Haus als Co-Produktionspartner, wo man mal zwei Wochen mit Licht proben und feilen könnte — ein Tanzhaus, das es in Köln nicht gibt.

 

Nun zeigt ihr drei Stücke plus Begleitprogramm an unterschiedlichen Orten in Köln.

 

Da haben wir unseren Platz gefunden! Wie es weitergeht, lassen wir ein bisschen offen. Damit der zeitgenössische Zirkus vorankommt in Deutschland, dafür tue ich einiges. Ich bin mir sicher, dass es in zehn Jahren ein Haus mit dieser Sparte gibt. 

 

In Köln seid ihr immer noch die einzigen?

 

Die einzigen Geförderten. Es gibt Leute, die in Köln und Bonn leben, aber hier nicht ohne eigene Arbeitsstrukturen spielen können. Einigen habe ich Residenzen vermittelt. Wo wir jetzt einen guten Stand haben, können wir ein bisschen in die Szene zurückgeben, auch mit Fortbildungen. Ob sich gute Abgänger von Zirkusschulen im Ausland für Köln entscheiden, hat damit zu tun, wie fruchtbar hier der Boden ist. Wenn es ein Haus gäbe, an dem sie gefördert werden — die Lust darauf ist vorhanden an den Hochschulen.

 

 

Mi 3.10., »Surround«, ZAK, 20 Uhr 

 

Sa 6.10., »Carnival of the Body«, tanzfaktur Köln, 20 Uhr 

 

Fr 12., Sa 13.10., »My Body is Your Body«, studiobühneköln, 20 Uhr

 

overhead-project.de