Südstadt: Ärger im Paradies (Teil 2)

Segway to Heaven

 

An der Maria-Hilf-Straße 15–17 kann man Gentrifizierung live beobachten

 

»Einatmen, ausatmen!« Von diesen sanft ge-sprochenen Anweisungen werde ich morgens geweckt. Seit ein Yogastudio in unseren Hinterhof gezogen ist, muss ich nur das Fenster öffnen, schon könnte ich in meinem Schlafzimmer alle Übungen mitmachen. Als ich 1989 in die Maria-Hilf-Straße zog, war die Geräuschkulisse ganz anders. Im Hof war eine Autoteilefabrik, LKWs fuhren ein und aus. Auch eine Druckerei war hier, die bis in die 80er Jahre die Stadtrevue druckte. Im Jahr 2000 zog die Autoteilefabrik um. Das änderte alles. Die Fa-brik-räume wurden zu Lofts und Büros umgebaut, heute sind hier Architekten, die Litcologne, Künstleragenturen. Früher lebten viele italienische Familien in der Straße, die sind nicht mehr da. Die Mieten steigen immer noch weiter, im Dachgeschoss wird jetzt eine 80-Quadratmeter--Wohnung für 1600 Euro vermietet. Trotzdem scheint der Hof seinen Reiz noch nicht verloren zu haben. Jedenfalls surren seit diesem Jahr fast täglich behelmte Menschen auf Segways herein. Unser Hof ist jetzt Bestandteil von Stadtführungen. Hier gebe es ein gelungenes Zusammenleben, höre ich den Stadtführer sagen, im Gegensatz zum Rheinauhafen. 

 

Die Menschen schauen sich begierig um, nicken anerkennend, dann schweben sie auf ihrer Plattform davon.

 

Protokoll: Monika Peters, Geschäftsführerin der Stadtrevue

 

 

 

Friede im Grünen

 

Die Südstadt ist auch ein Veedel der Parks 

 

Wer an schönen Tagen durch die Südstadt spaziert, merkt: Hier spielt sich das Leben draußen ab. Auch die Gutverdienenden in ihren sanierten Altbauwohnungen zieht es dann nach draußen, auf die Terrassen der Kneipen und Cafés, aber auch in die Parks. Davon hat die Südstadt eini-ge: Der Volksgarten im Westen zieht mit See, Tret--bootverleih, Spielplatz und Biergarten auch Men-schen aus anderen Stadtteilen an. Im Rö--mer--park im Osten trifft man überwiegend Men-schen aus dem Veedel. Er grenzt gleich an das Eierplätzchen — wie an kaum einem Ort ver--dich-tet sich hier das Südstadt-Flair. Nur ein paar Schritte weiter, schon steht man am Frie--dens-park an der alten preußischen Befes-ti-gungs-anlage, dem Fort I. Der 1914 angelegte Park, der an Oberländer Wall und Südbrücke grenzt, stammt vom Gartenarchitekten Fritz Encke, der sich in Köln vielerorts verewigte. Ne-ben der pittoresken Stimmung überwucher-ter Gemäuer ist der »Baui« eine Attraktion. Ein Bauspielplatz, in dem Generationen von Süd-stadt--kindern Abenteuer erlebten. Die Ausge-las-senheit hier nimmt dem finsteren, steinernen Adler, der auf dem alten Kriegerdenkmal wohnt, jede Wucht. Es dauerte aber bis 1985, dass man den Ort, der einst Hindenburgpark hieß, endlich in Friedenspark umbenannte.

 


Bernd Wilberg

 

 

 

 

Die Folklore-Formel

 

Wie der Südstadt-Rock zum Soundtrack des Kölschtums wurde

 

 

Südstadt und Kölschrock — das gehört zusammen wie Franz Beckenbauer und Bayern München. Was vor allem an Wolfgang Niedecken liegt, der vor 40 Jahren an der Teutoburger Straße lebte und arbeitete, wo er übrigens den späteren Malerfürsten Julian Schnabel eine Zeitlang beherbergte. Niedecken, der an den Kölner Werkschulen Kunst studiert hatte, sah sich damals selbst eher als Maler denn als Musiker. Köln war Ende der 70er Jahre nicht mehr auf der Landkarte der Popmusik zu finden. Can hatten sich de facto aufgelöst, Punk und New Wave fanden in Düsseldorf statt. In diese Ödnis stieß Kölschrock: Niedeckens Musik, für die er bald den kongenialen Gitarristen Klaus »Major« Heuser fand, war zwar damals schon anachronistisch, aber eben auch so unverwechselbar wie eingängig. Niedecken fand im Südstadt-Milieu einen kulturellen Resonanzraum, der vielleicht nicht innovativ war, aber Originalen und Einzelgängern viel Hallraum bot. Die Erfolgs-formel lautete: Alternativkultur der Post-68er Jahre geteilt durch kölsche Folklore. Klaus der Geiger und seine proletarisch-anarchische Straßenmusik, der ungeschliffene Blues von Richard Bargel, die Zappa-Adaptionen Gerd Kösters, schließlich Zeltingers feister Brauhaus-Rock: Sie alle prägten das Südstadt-Image, das in Livemusik-Kneipen wie dem Kurfürstenhof denn auch Wirklichkeit wurde. Ihren Höhepunkt fand diese Musikkultur mit dem ersten »Arsch huh«-Konzert gegen Rassismus und Neonazis, zu dem sich am 9. November 1992 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz versammelten. Diese antirassistische Tradition wird heute vom Edelweißpiraten-Festival im Friedenspark unverkrampft hippiesk weitergeführt. Aber die Geschichte der Südstadt-Musik ist nicht vollständig ohne die Stollwerck-Besetzung (1980) und die bis 1986 währende Nutzung der alten Maschinenhalle unter Leitung des legendären Kunst-Entre-preneurs Ingo Kümmel. Hier wurde experimentiert, hielten Punk und Industrial Einzug ins Musikleben, installierte Frank -Köllges sein Intermission Orchestra. Dass die Kölner Musikszenen bis heute von Momenten radikaler Offenheit und Experimentierlust geprägt sind, geht nicht zuletzt auf die Stollwerck-Jahre zurück.

 

Felix Klopotek

 

 

 

 

 

Am Südhang 

 

Der Weinberg am Chlodwigplatz ist fertig. Beinahe jedenfalls

 

Rotwein ist ein wichtiges Thema im Veedel der Toskana-Fraktion. Kein Wunder, dass die Idee, an der Severinstorburg einen Weinberg anzulegen, große Emotionen schürte. Ausgeheckt hatten sie Grüne und CDU nach einer Sitzung der Bezirksvertretung — an der Theke, ist ja klar. Bezirksbürgermeister Andreas Hupke hatte auch gleich den richtigen Mann für diese Aufgabe parat: Thomas Eichert, Südstädter und selbst ernannter Stadtwinzer, der schon Dutzende Kölner Hauswände mit Wein bepflanzt hat. Alle freuten sich auf die Flaschen mit dem »Blauen Kölner«, die künftig zugunsten des Vringstreffs versteigert werden sollen.

 

Einzig SPD und Verwaltung ließen sich von der allgemeinen Euphorie nicht besoffen machen. Wenige Tage, bevor die Bezirksvertretung  offiziell beschließen wollte, den Weinberg anzulegen, ließ die Stadt den Hang an der Severins-torburg mit Bodendeckern bepflanzen. Nicht das Grünflächenamt hatte sich für diese Friedhofsästhetik entschieden. Bei dem Fleckchen Erde an der Torburg handelt es sich um die letzte im Grundbuch verbriefte Ackerfläche der Innenstadt, weshalb das Liegenschaftsamt dafür zuständig ist. Das Amt konnte den mit großer Mehrheit gefassten Beschluss für den Weinberg nicht einfach so hinnehmen. Man sorgte sich um die Sicherheit des Winzers. Der Hang könne ins Rutschen geraten. Auch drohe »bei Starkregen und Frosttauwechsel-Beanspruchungen« Mörtelschlag von der Torburg. Doch schließlich konnten die Bedenken ausgeräumt werden. Im Mai pflanzte Thomas Eichert 50 Reben, ohne dabei erschlagen worden zu sein. Der Wein gedeiht prächtig. Doch noch ist der Weinberg gesperrt, denn der schmiedeeiserne Zaun ist noch nicht fertig. Die Stadt hatte ihn in Auftrag gegeben, um Wildpinkler abzuhalten. Es gebe einen »außerplanmäßigen Mehraufwand bei der Fertigstellung des Zaunes«: Das Schmieden der gerundeten Zaunteile ist schwierig. Dass der verflixte Weinberg aber auch rund sein muss! Zum Glück gibt’s guten Rotwein auch in der Toskana.

 


Anne Meyer