Südstadt: Ärger im Paradies (Teil 1) (Kopie 2)

Aufruhr in der Südstadt! Das Veedel steht für den Aufbruch der sozialen Bewegungen, der seinen symbolischen Höhepunkt 1980 in der Besetzung des Stollwerck-Geländes fand. Doch die Hausbesetzer von damals sind die Hausbesitzer von heute — und wollen ihre Ruhe haben. Ruhen sie sich auf ihrem Mythos aus? Die Altvorderen stören sich an einer neuen Generation, die andere Vorstellungen hat. So entzündete sich zuletzt ein erbitterter Streit um das geplante Straßenfest »Bunt im Block«, der auch ein Konflikt der Generationen ist. Wie ein Sinnbild für das Ende der Idylle kam es im September zu einem Skandal — ausgerechnet im Bürgerhaus Stoll­werck feierten Rechtspopulisten eine Party. Was ist passiert im Veedel, das für mediterranes Flair, lässiges Miteinander und kölsche Toleranz stand?

Das Stimmengewirr der Passanten, das Geräusch eines Lieferwagens, der stockend anfährt, jemand schimpft — die Straßengeräusche dringen durch das geöffnete Fenster des kleinen Büros an der Severinstraße. Ursula Jünger sitzt im ersten Stock ihrer Buchhandlung, vom Schreibtisch aus kann sie das Treiben auf der Einkaufsstraße sehen. 

 

73 Jahre gibt es die Buchhandlung Maternus bereits, ursprünglich an der Bonner Straße. Doch 1985 übernahm Ursula Jünger den Betrieb und zog hierhin, auf die andere Seite der Severinstorburg. Für sie ist das »Vringsveedel«, das Viertel rund um die Kirche St. Severin, das kölschste aller Veedel. »Wenn ich über die Straße gehe, höre ich tatsächlich noch echtes Kölsch«, sagt Jünger. Bis 2013 war sie Vorsitzende der IG Severinsviertel, vertrat die Inte-ressen der Einzelhändler, die nach dem Ein-sturz des Stadtarchivs im März 2009 viele Jahre un-ter den Folgen litten. An den Wänden von Jüngers Büro hän-gen Gemälde, die den Archiveinsturz zei-gen. Sie stammen vom Südstadt-Künstler Jürgen Schrei-ber, der sich Gorgonzola nannte. »Sagt Ihnen der Name etwas?«, fragt Jünger. »Er hat auch den Brun-nen An der Eiche gestaltet, einer der wenigen Trinkwasser-brunnen der Stadt.« Jünger kennt das Veedel in- und auswendig, obwohl sie gar nicht hier wohnt.  

 

Nach dem Archiveinsturz, den Jünger als Gemälde immer noch täglich vor Augen hat, stand vor dem Maternus-Buchhandel mehrere Jahre ein Bauzaun und schweres Gerät, weil hier die U-Bahn--Station »Kartäuserwall« gebaut wurde. Mittlerweile fährt unter der Severinstraße die Nord-Süd-Bahn, zumindest bis zum Bonner Wall im Süden. Es gab eine heftige Debatte im Stadtrat darüber. Die einen wollten die Züge erst fahren lassen, wenn die gesamte Strecke fertiggestellt sei — aber das würde noch viele Jahre dauern. Weil es auch viel Geld verschlungen hätte, die unbenutzten Stationen instand zu halten, und weil man ein positives Signal in die Südstadt schicken wollte, stimmten Grüne und CDU dafür, den Betrieb aufzunehmen. Voll ist die Bahn selten, die Boulevardpresse hat die Linie schon »Geisterbahn« getauft.  

 

Den Posten als Sprecherin der Einzelhändler hat Jünger mittlerweile abgegeben, doch sie engagiert sich weiter im Vringsveedel. Sei es, dass sie als Vorsitzende des Severinsbürgerpreis e.V. Wolfgang Niedecken die Auszeichnung überreicht, sei es, dass sie sich für die Restaurierung der Statue des Heiligen Severins engagiert. Sie steht an der Kirche Johann Baptist, die man hier »Zint Jan« nennt und die durch den U-Bahn-Bau in Schieflage geriet. Ein Warn-signal, das man 2004 nicht hören wollte. Viereinhalb Jahre später stürzte an der Strecke dann das Stadtarchiv ein. 

 

»Ein Schock sei das gewesen für alle hier«, sagt Jünger. Niemand habe sich vorstellen können, dass die Normalität einmal zurückkehren werde. 

 

 

Seit dem Archiveinsturz hat sich die gebeutelte Severinstraße zum Paradebeispiel einer intakten Einkaufsstraße gemausert. Hier stehen die Gegensätze wie versöhnt beieinander, es gibt inhaber-ge-führte Metzgereien und alteingesessene Gemüse-läden neben Nagelstudios und Elektro-Ramsch-läden, es gibt Bioläden und Discounter, kölsche Kaschemmen, modische Imbisse und italienische Lokale mit betuchtem Stammpublikum. Die Vielfalt zeigt sich auch unter den Passanten. Ein Grüppchen in Büro-Mode schlendert mit Coffee-to-go-Bechern und Sandwiches vorbei. »Die kommen aus dem Rheinauhafen«, sagt Jünger amüsiert. Es freut sie. »Die wollen ja auch mal ein echtes Veedel sehen.« Während der Rhein-auhafen ein steriles Büro-Areal ist, das mit Gastronomie-Filialisten und Events mühsam belebt werden muss, ist die Südstadt ein gewachsenes Viertel. 

 

Beim Spaziergang durch die Straßen und Gassen wird Ursula Jünger oft angesprochen. Viele grüßen, aber es werden auch organisatorische Dinge besprochen. »Ich kann das meiste hier auf der Straße regeln«, sagt Jünger. »Das geht schneller und einfacher, als E-Mails hin- und herzuschicken.«

 

Jünger zeigt den Baum, den der kölsche Krätzchen-Sänger Ludwig Sebus, Jahrgang 1925, in seinem Evergreen »Dä ahle Kuschteie-baum« besungen hat. An der Quentelstraße / Ecke Buschstraße findet man den alten Kastanienbaum. Erstaunlich ist, wie oft sich ruhige Plätze wie dieser auftun, sobald man von der Severinstraße in eine der kleinen Gassen abbiegt. Mitten im Trubel steht auch St. Severin, die prächtigste und zweithöchste der romanischen Kirchen Kölns, gewidmet jenem Bischof, dessen Namen das Veedel trägt. 

 

»Für mich ist die Südstadt vor allem das Seve-rins--viertel«, sagt Jünger. Und so endet der Spaziergang an der Severinstorburg. Dort kann man die steinernen Stufen hinaufgehen und weit in die Severinstraße blicken, die Einsturzstelle des Stadtarchivs hinten am Waidmarkt ist von hier nur zu erahnen. Letztlich ist es nach dem Einsturz hier besser geworden als zuvor. Das Veedel hat jene Buntheit, jenen Mix an Menschen und Lebensstilen, von der die Alt-68er und Stollwerk-Besetzer nur träumen konnten, als sie gegen den damaligen Stadtumbau protestierten. 

 

 

Aber auch gesamtgesellschaftliche Proble-me zeigen sich in der Südstadt. In einem Hauseingang schläft ein Obdachloser, in einer Seitenstraße schreien sich zwei Trinker an. Die Gentrifizierung versteckt sich hinter frisch renovierten Fassaden. Seit Jahren steht die Traditionskneipe »Schmitze Lang« leer, doch das gesamte Haus ist komplett saniert. Von den einstigen Gästen würde sich kaum einer diese Wohnlage leisten können. Zudem verschärft die Zweckentfremdung von Wohnraum die Wohnungsnot. Im Severinsviertel gibt es Häuser, die nur noch über AirBnB vermietet werden. Vor einigen Wochen protestierten Südstädter mit einer Demo, die Politik hat das Thema jetzt aufgenommen (siehe Artikel in »Durch die Stadt«) — manch einer sagt, die Stadtverwaltung reagiere schneller als anderswo, wenn es in der Südstadt Protest gebe. 

 

Doch viele der damaligen Hausbesetzer sind zu Hausbesitzern geworden, in der Südstadt oder aber in den Vierteln, die die Ödnis des Reichtums verströmen: Marienburg oder Rheinauhafen. Manchen ist das unangenehm, es passt nicht so recht in ihre Biografien, die vom Engagement für Vielfalt und alternative Lebensentwürfe geprägt sind.

 

Martin Stankowski geht damit souveräner um. Vor einem Jahr ist er von der Südstadt ins nahe gelegene Pantaleonsviertel gezogen. »Na ja, das ist immer noch irgendwie Südstadt«, sagt er. »In einer Viertelstunde bin ich da.« Die Wege des Stadthistorikers und Autors führen ihn nach wie vor mitten in die Südstadt. Kaffee am Ubierring, Lunch beim Italiener an der Severinstraße. »Die Südstadt«, sagt Stankowski, Jahrgang 1944, »ist irgendwie ein Altenheim meiner Generation.« Der gebürtige Sauerländer lebt seit Ende der 60er Jahre in Köln, gab eine links-katholische Zeitung heraus und gründete die »Stattzeitung« Kölner VolksBlatt. Die Stollwerck-Besetzung hat er hautnah miterlebt, später engagierte er sich bei den Grünen, hätte 1988 sogar in den Rat der Stadt einziehen können, verzichtete aber. Stankowski war immer dabei, aber nie an vorderster Front. Er ist nicht einer jener »roten Opas«, wie er sagt, die der jungen Generation erklären wollen, wie man richtig linke Politik betreibt. »Ich habe immer versucht, mitzugestalten«, sagt er. »Aber von außen, ich stand nie in der Verantwortung, hatte nie ein Amt inne.« In vielen Projekten, etwa einer Kampagne gegen rassistische Kontrollen der Bahnpolizei, habe er auch Konservative angesprochen. »Mit anderen Lagern zu kommunizieren, erleichtert es mir, vieles heute leichter zu nehmen.« Stankowski überlegt. »Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass ich eine glückliche Kindheit hatte.« 

 

Genervt ist Stankowski dennoch: von der zunehmenden Kommerzialisierung des öffent-lichen Raums, den die Stadt zulasse. Auch Straßenfeste gebe es genug, sagt er: das Fest auf der Alteburger und Bonner Straße sowie am Chlodwigplatz, die Kneipen-Kampagne Südstadt-Safari, dazu das Straßenfest »Dä längste Desch« auf der Severinstraße — »eine komplett absurde Veranstaltung.« Zudem hat Stankowski fast fünfzig -Gastronomiebetriebe entlang der Bonner Straße vom Chlodwigplatz bis zur Eisenbahnunterführung gezählt. Für ihn ist es das Symptom einer »neuen Form von Vergemeinschaftung, die ersatzweise in den Auftritten im öffentlichen Raum gelebt wird — ob das Junggesellenabschiede sind oder Kioske, die jetzt alle mindestens zwei Bänke vor der Tür haben oder eben die Gastronomie.« Das führe zu Konflikten, etwa wenn Außengastronomie die Bürgersteige in Beschlag nehme. Stankowsksi hat nichts gegen Gastwirte, aber gegen eine Politik und Verwaltung, die nicht eingreife. »Man könnte auch sagen, jetzt reicht es doch mal. Macht doch mal eine Eisdiele in Höhenberg-Vingst auf, da gibt es nämlich keine«, sagt Stankowski. »Kinderärzte, Schornstein-feger und Notare haben auch keine freie Berufswahl.«

 

 

Till Riekenbrauk blickt anders auf die vielen Kneipen und Restaurants. »An lauen Sommerabenden sitzen so viele Menschen draußen, essen und unterhalten sich, es ist fast mediterran. Was gibt es Schöneres?«, sagt er. Seine Begeisterung verwundert nicht: Riekenbrauk ist selbst Gastronom. Als solcher hat er in den vergangenen Jahren Aufsehen in Köln erregt. Erst mit dem »Laden ein« im Agnesviertel, in dem er wechselnde junge Köche aus der Streetfood-Szene kochen lässt, dann in der Südstadt mit dem Brauhaus »Johann Schäfer«. In der umgebauten Spedition an der Elsaßstraße gibt es vor freigelegten Backsteinwänden eine moderne Interpretationen kölscher Gerichte und selbst gebraute Biere. Seine Läden sind beliebt, auch Köln-Tourismus wirbt mit den hippen Neuzugängen und veranstaltet Bierverkostungen im Johann Schäfer. In der Südstadt teilen aber nicht alle die Begeisterung. Da das Brauhaus in einem geschützten Wohngebiet liege, in dem Gastronomie nur ausnahmsweise erlaubt sei, gewährt ihm die Stadt bloß eine Konzession bis 22 Uhr. Die Regelung gilt allerdings für keinen anderen Betrieb in der Umgebung. Die Stadt verweist auf Beschwerden aus der Nachbarschaft. Eine SPD-Staatssekretärin hatte seitenlange Beschwerde-Dossiers zusammengestellt. Riekenbrauk klagt vor Gericht gegen die Stadt, das Urteil steht aus. Er hat ein Ladenlokal direkt nebenan gemietet, dort schickt er seine Gäste hin, wenn das Johann Schäfer um 22 Uhr schließen muss. Riekenbrauk ist auch einer der Initiatoren des Straßenfests »Bunt im Block«, an dem sich im vergangenen Jahr ein heftiger Streit entzündet hat. Die Nachbarin, die sich über das Brauhaus beschwerte, unterzeichnete auch die Petition gegen das Straßenfest. Was hat Till Riekenbrauk nur falsch gemacht?

 

Uns muss niemand erklären, wie Nachbarschaft funktioniert. In der Südstadt gibt es ein wirklich gutes nachbarschaftliches Miteinander«, sagt Franz Kirchen. Er kommt vom Sport und trägt noch Trainingsjacke und Turnschuhe, als er auf einen Kaffee ins Café Sur an der Lutherkirche kommt. Franz Kirchen war 28, als er in der Südstadt die Kneipe Backes aufgemacht hat. Das war im Jahr 1983, im Viertel ist er bestens vernetzt. Mit seiner Lebensgefährtin hat er den Protest gegen Bunt im Block organisiert, auch prominente Bekannte wie Arno Steffen oder Tommy Engel haben die Online-Petition unter der Überschrift »Wem gehört die Südstadt?« unterschrieben. Der Streit hat Franz Kirchen mitgenommen. Ein Shitstorm sei über seine Freundin hereingebrochen, er zeigt Screenshots der Schimpftiraden in den sozialen Netzwerken. Auch Franz Kirchen sagt, es gebe schon genug Straßenfeste in der Südstadt. Wenn etwas neues dazukomme, dann sollten das »kleine Akzente in der Nachbarschaft« sein — und keine Großveranstaltungen mit 100.000 Besuchern, wie in einem Flyer für mög-liche Sponsoren von Bunt im Block angekündigt wurde. Es scheint, als fühle sich der ehemalige Backes-Wirt überrumpelt vom professionellen Auftreten dieser jungen Menschen, von ihrer ge-ölten PR-Maschinerie und ihrer Meinungsmacht dank großer Gefolgschaft in den sozialen Netzwerken. Franz Kirchen besitzt nicht einmal ein Handy. Er kann nicht glauben, dass Bunt im Block als unkommerzielles Nachbarschaftsfest geplant war. Till Riekenbrauk mag in der Südstadt aufgewachsen sein. Bei vielen älteren Südstädtern bleibt das Gefühl: Da kommt jemand von außen und redet wie ein Manager.   

 

In seinem mit Büchern vollgestopften Büro an der Lutherkirche sitzt Pfarrer Hans Mörtter am Schreibtisch. Er habe nicht viel Zeit, sagt er zunächst, doch am Ende sind es mehr als zwei Stunden, in denen er über die Südstadt erzählt. Zwischendurch nimmt er Telefonate an, um Aktionen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu koordinieren. Mörtter fand die Idee für das Nachbarschaftsfest Bunt im Block gut — ein anderes Straßenfest, ohne Bühnen, kleinteiliger. Ein bisschen so wie das Fest, das Mörtter auf der Merowinger Straße und an der Lutherkirche zusammen mit vielen anderen mitorganisiert — im jährlichen Wechsel mit dem Fest an der Bonner Straße, so war es abgesprochen. Mittlerweile aber findet das Fest auf der Bonner Straße jedes Jahr statt und nennt sich »Südstadtfest«, als wenn es das zentrale Fest im Stadtteil wäre. Die Debatte um die Straßenfeste ist ein Streit der Lebensstile, aber auch ein Machtkampf um Präsenz im öffentlichen Raum, gespickt mit vielen Eitelkeiten und strategischen Bündnissen. Ihn habe die Aggression, die Bunt im Block ausgelöst hat, fassungslos gemacht, sagt Mörtter. »Wer Bunt im Block kritisiert, muss auch das Fest auf der Bonner Straße und ähnliche kommerzielle Veranstaltungen kritisieren«, sagt er. Der Streit sei ganz klar ein Generationenkonflikt. 

 

Sind es die alten Recken, die ihre Schlachten am Stollwerck und anderswo geschlagen haben und nun ihre Ruhe genießen wollen? »Ach, von denen, die da schreien, hat doch kaum einer eine Schlacht geschlagen«, sagt Mörtter. »Die meisten tun doch nur so, weil sie mal dabei waren. Die ruhen sich auf ihrem Mythos aus, weil sie denken, sie hätten ihr Lebenswerk vollbracht.« Aber das stimme nicht, es gehe immer weiter. »Ich habe damals in Bonn studiert, bin aber immer zum Stollwerck gefahren zu den Aktionen«, sagt -Mörtter. »Ich würde aber nie sagen, ich war Stollwerck-Kämpfer, die Arbeit hat ein kleiner Kreis gemacht.« Mörtter sieht die Entwicklung der Südstadt »kritisch positiv«. Die Atmosphäre sei gut, das soziale Engagement groß. Dass junge Menschen mit neuen Ideen das Veedel bereichern, freut ihn. »Die jungen Leute bleiben nicht mehr zu Hause und gucken Fernsehen, zufrieden mit sich selbst. Die gehen raus, treffen sich, lernen neue Leute kennen. Das ist Austausch — aber manche Alteingesessenen wollen ihre Ruhe haben.« 

 

Aufpassen müsse man aber, dass die Menschen sich die Südstadt noch leisten können. Einen Hausbesitzer habe er neulich dazu gebracht, nicht die Miete zu erhöhen und das Haus nicht luxuriös zu sanieren, erzählt er. Mörtter setzt auf Dialog, doch auch die Stadt müsse entschieden und mutig mehr tun gegen Gentrifizierung und Wohnungsnot, also »etwa Häuser mit erklärtem Vorkaufsrecht kaufen.« Noch gebe es die Chance »die attraktive Mischung mit Geringverdienenden zu sichern«, sagt Mörtter. Oft schon ist der Pfarrer angeeckt, weil er auch zu Themen Stellung bezieht, die seinen kirchlichen Zuständigkeits-bereich überschreiten, wie manche meinen. So sprang er Einzelhändlern bei, die sich sorgten, weil der neue Wochenmarkt auf dem Chlodwigplatz eine zu große Konkurrenz sei. 

 

 

Hier steht der Grünen-Politiker und Bezirksbürgermeister -Andreas Hupke und schießt einem herrenlosen Hund Bälle zu. Hupke will weitergehen, doch der Hund lässt nicht ab, und Hupke will ihn auch nicht davonjagen. »Ich bin mit Hunden aufgewachsen«, sagt Hupke entschuldigend. Hupke, der aus der Eifel stammt, hat in den 70er Jahren im Severinsviertel als »Obpicker« gearbeitet. Er bezog eine Zeitlang -Sozialhilfe und wurde vom Amt zur Pflichtarbeit herangezogen. Mit Zange und Schubkarre zog er durchs Veedel und hob den Müll von Straße und Spielplätzen auf. 

 

»Das war der Urknall meiner Liebe zur Südstadt«, sagt Hupke, der selbst im Kwartier Latäng am Rathenauplatz wohnt. Damals sei die Südstadt von Arbeitern geprägt gewesen, genauer: von Arbeiterinnen, den sogenannten Stollwerck-Mädchen. Vor der Severinskirche steht ein Denkmal für sie. »Das Vringsveedel war noch vom Krieg geschunden, die Politik interessierte sich nicht dafür«, sagt Hupke. »Für mich als Bauernsohn war es aufregend, das Arbeiterleben live zu erleben.« Er zeigt auf das Brauhaus Früh em Veedel, die einstige Brennerei Herrmann, die wegen der vielen betagten Stammgäste »Invalidendom« genannt wurde. Hier kehrte Hupke nach der Arbeit ein. »Da standen die Herrmanns mit ihren weißen Schürzen, und wir kamen rein mit unseren Latzhosen und Parkas. Aber wir wurden hier sofort akzeptiert.« 

 

Doch die Tage der Arbeiter-Idylle waren gezählt, die Schokoladenfabrik Stollwerck zog nach Porz und das Severinsviertel wurde zum Sanierungsgebiet erklärt. »Ein mächtiger Politiker hat damals wortwörtlich gesagt, man wolle einen qualitativen Austausch der Bevölkerung erreichen«, so Hupke. Er biegt ab in die Annostraße, läuft zum ehemalige Stollwerck-Gelände. Natürlich war er mit von der Partie, als 1980 die Fabrik besetzt wurde, um sie vor dem Abriss zu bewahren. Bekanntlich blieb am Ende nur ein einziger Fabrikteil stehen, der Annoriegel. »Das war die erste Welle der Gentrifizierung«, sagt Hupke. Im Jahr 1993 schloss der Fachbereich »Freie Kunst« der Fachhochschule am Ubierring, das Überbleibsel der legendären Kölner Werkschulen. Ein Jahr später traf es die Kölner Kammerspiele, wo Hupke als Bühnentechniker arbeitete. »Damit war das quirlige, kreative Leben er-loschen.« Deshalb freut sich Hupke auch, wenn junge Menschen das Viertel beleben. Deshalb hat er versucht, Bunt im Block zu unterstützen. Eine Mehrheit in der Bezirksvertretung war schon organisiert — doch die Stadtverwaltung fuhr ihm in die Parade. Jetzt unterstützt er die Betreiber des Johann Schäfer, damit sie länger öffnen dürfen. Hupke ist kein Kritiker der Gastronomie. »Die Südstadt soll nicht zur Wohn- und Schlafstadt werden«, sagt Hupke. Das Hintergrundrauschen des Urknalls seiner Liebe zur Südstadt ist bis heute zu hören. Für manchen hier aber ist das schon eine Ruhestörung.