Damals standen die Signale auf Aufbruch: Reker-Wahlkampf 2015, Foto: Manfred Wegener

Parteiloser geht‘s nicht

Vor drei Jahren trat Henriette Reker ihr Amt als Oberbürgermeisterin an. Eine Zwischenbilanz

Am Anfang steht das Attentat. Einen Tag vor der OB-Wahl verletzt ein Rechtsextremer Reker lebensgefährlich. Am Tag darauf, dem 18. Oktober 2015, wird sie mit überwältigender Mehrheit neue Oberbürgermeisterin, während sie im Krankenhaus liegt. Ihren Dienst kann Reker erst am 20. November antreten.

 

Bald bedroht das Klüngel-Erbe die erste Euphorie: die vermurkste Sanierung von Oper und Schauspiel, der Kalkberg rutscht ab, die umstrittene Fortführung des Messe-Deals. Doch die erste Bewährungsprobe für Reker ist der Jahresbeginn 2016. In der Silvesternacht kommt es am Hauptbahnhof massenhaft zu sexuellen Übergriffen auf Frauen. Ein Großteil der Täter hat Migrationshintergrund. Köln steht im Fokus der Weltöffentlichkeit, von Reker wird Tatkraft erwartet. In ihrer Not erteilt sie einen Ratschlag, der sich nicht an übergriffige junge Männer richtet, sondern an Frauen: »Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft.«

 

Rekers Laufbahn ist durch ihre Verwaltungslaufbahn geprägt, sie wirkt oft steif. Hinzu kommt: Reker gelangt an die Spitze eines Stadtvorstands, in dem sie zuvor selbst Dezernentin war. Ihre Kritik an der Verwaltung empfinden manche als Nestbeschmutzung.

Dem Klüngel hat Reker den Kampf angesagt, sie will die Verwaltung effizienter machen, die Menschen vor wichtigen Entscheidungen einbinden. Reker tourt zweimal durch die Stadtbezirke, viele Gespräche und tonnenweise Kärtchen auf Stellwänden später weiß niemand so recht, wozu es gut war. Die Bürgerbeteiligung zur Ost-West-Achse ist ein Flop. Die Verwaltung hatte schon zu Beginn angekündigt, unbedingt eine U-Bahn bauen zu wollen. Dazu passt, dass die über Jahre ausgearbeiteten »Leitlinien zur Bürgerbeteiligung« in einem mickrigen Modellprojekt münden — weil Beteiligung zu teuer und aufwändig sein könnte.

 

Oder ist alles ganz anders? Eine Frau geht ihren Weg, gegen alle Widerstände — vor allem von der SPD. So erzählen Pascal Siemens und Jonathan Briefs in ihrem Buch »Henriette Reker — Mein Beruf ist Köln«, das 2016 erscheint, die Geschichte. Die Autoren stammen aus Rekers Wahlkampfteam und schildern enthusiastisch, dass Reker einen neuen Stil verkörpere: Sachpolitik statt Parteipolitik, Transparenz statt Vetternwirtschaft. Doch statt alle zu Reker-Fans zu machen, sorgt das Buch für Ärger. Das liegt am Rivalen Jochen Ott (SPD), der im Buch nicht gut wegkommt. Im Interview mit der Stadtrevue wirft Siemens ihm Mitschuld am Attentat vor. Mit seinen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik habe Ott die Stimmung aufgeheizt. Siemens, heute persönlicher Referent Rekers, muss zurückrudern.  Ob Reker selbst sich über das Buch gefreut hat, ist nicht bekannt.

 

Rekers neuer Stil: Sie macht sich selten ein Politikfeld zu eigen. Meist übt sie sich in der Rolle des Stadtoberhaupts, überlässt das Tagesgeschäft ihren Dezernatsleitungen — gerade wenn die Themen wenig öffentlichkeitswirksam sind. 

 

Das sieht man an der Verkehrspolitik. Seit ihrem Wahlkampf 2015 erklärt sie im Jahresabstand, dass sie Angst habe, in Köln aufs Fahrrad zu steigen. Dagegen getan hat sie wenig. Für den Verkehr ist Dezernentin Andrea Blome zuständig, die Reker auf Wunsch der CDU aus Düsseldorf holte. Blome sitzt die Verkehrswende bislang aus — ohne dass Reker intervenierte. Anders springt sie mit Umweltdezernent Harald Rau um. Er ist dafür zuständig, die Stickoxid-Grenzwerte in Köln einzuhalten. Rau brachte eine City-Maut ins Spiel, doch für diesen unpopulären Vorschlag pfeift Reker ihn zurück. 

Anders agiert sie in der Wohnungspolitik, auch, weil fast alle Kölner die Wohnungsnot als größte Herausforderung sehen. Ende 2017 verkündete Reker ein Bündnis mit der Wohnungswirtschaft. Bis zu 6000 Wohnungen sollen pro Jahr entstehen. Aber 2017 wurden gerade einmal 2100 Wohnungen fertig, die Zahl der Baugenehmigungen fiel auf 2600. Reker setzt ihre Hoffnungen auf den neuen Stadtteil Kreuzfeld im Norden. Ein Baubeginn dort ist nicht in Sicht.

 

Rekers größter Triumph ist zugleich ihre größte Niederlage. Im April will sich Martin Börschel (SPD) vom Aufsichtsrat der Stadtwerke auf einen neuen Posten des Stadtwerke-Geschäftsführers wählen lassen. CDU und Grüne unterstützen das, doch Reker stoppt den Klüngel — und verärgert ihre Unterstützer, obwohl diese sich reumütig geben.

 

Viele haben sich abgewandt. Reker war Gleiche unter Gleichen im Stadtvorstand, jetzt ist sie Chefin. Ausgerechnet mit den Frauen gerät sie aneinander: Wirtschafts- und Schuldezernentin gehen, Kämmerin und Kulturdezernentin fehlt die Unterstützung. Lange sind wichtige Posten wie die Leitung des Wirtschaftsdezernats vakant.

 

Im Rat der Stadt wirkt Reker wie isoliert. Parteiloser als Reker kann man kaum sein. Ihr Bündnis aus CDU, Grünen und FDP bröckelt. Die Stadtwerke-Affäre rüttelt die Grünen durcheinander, Kritik an Reker ist dort nicht mehr tabu, und die CDU liebäugelt damit, Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) als OB-Kandidaten zu nominieren. Reker hätte, träte sie noch einmal an, keine politische Mehrheit im Rat. Doch sie ist beliebt. Eine parteilose Frau als OB, das sind für viele Menschen immer noch gleich zwei Gründe, Reker zu wählen.