Francesco Neri

Ihr Gesichtsausdruck ist weder freudig, noch traurig, weder müde, noch euphorisch. Der Blick der Bäuerinnen und Bauern in Fran-cesco Neris Porträts lässt sich allenfalls als »neutral« beschreiben. Sie stehen oder sitzen frontal zur Kamera und schauen den Betrachter an. Obwohl Francesco Neri seine Serie mit »Farmers« betitelt, lässt sich aus den Aufnahmen keine Typologie eines Berufsstands ableiten. Nur in seltenen Fällen ist das Arbeitsgerät zu erkennen, nur gelegentlich öffnet sich der Bildrahmen der Porträts zur Landschaft. Die aus der Unschärfe heraustretende Land-bevölkerung ist zwar in Arbeits-kleidung zu sehen, doch auch die hat längst alle Kennzeichen einer bäuerlichen Kluft verloren. So sachlich das Setting sein mag, es bleibt ein unveräußerlicher Rest an Individualität. Ein Moment einer unangreifbaren persönlichen Immanenz des Lebens im ländlichen Raum.

 

Francesco Neri (*1982) wird in Köln für seine 2009 begonnene Serie jetzt mit dem erstmals verliehenen August-Sander-Preis ausgezeichnet. Ausgelobt haben ihn die Stifter Ulla Bartenbach und Kurt Bartenbach in Kooperation mit der SK Stiftung Kultur. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird zukünftig alle zwei Jahre an junge Künstler*innen verliehen, die im Bereich des sachlich dokumentarisch orientierten Porträts arbeiten. Die Jury hob in ihrer Auszeichnung von Neris Zyklus »Farmers« denn auch die »serielle Vorgehensweise« und die »einfühlsame Komposition« hervor. Doch ein Vergleich mit den Bauern-Porträts von Sander lässt auch reizvolle Unterschiede zutage treten.

 

Sander hebt die Landbevölkerung aus ihrem Lebensraum heraus und lässt sie Sonntagskleidung tragen, eine Art Camouflage ihrer Tätigkeit. Neris Aufnahmen dagegen entstehen aufgrund persönlicher Kontakte, die häufig durch seine Student*innen vermittelt werden. Und das sieht man ihnen an. Die Aufnahmen konzentrieren sich auf Höfe in den norditalienischen Provinzen Emilia Romagna und Piemont, die seit Generationen in Familienbesitz sind. Dieses Interesse für den ländlichen Raum verbindet Francesco Neri mit Foto-graf*innen wie Judith Joy Ross, Walker Evans oder Porträtisten des 19. Jahrhunderts — und führt sein Werk auch wieder zu August Sander.