Ein gewisses Maß an Verstörung

Vier Jahre nach »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« präsentiert Jens Friebe sich auf »Fuck Penetration« mit multiplen Stimmen

Die Ansage überrascht: »Ich möchte die Leute erfreuen!«, eröffnet Jens Friebe unser Gespräch im Prater Biergarten am Prenzlauer Berg. Es ist Mitte August und wir sitzen nur wenige Meter von jener Stelle entfernt, an der Christoph Schlingensief sein Zirkuszelt für die Wahlkampfhappenings seiner Chance 2000 aufgebaut hatte. Insofern ist es nur passend, dass Friebe umgehend dieses simple Bild der Künstler-Publikumsbeziehung schnell relativiert: »Es klingt so schlagermäßig, wenn man sagt, dass man den Leuten eine Freude machen will — und in dieser Seichtigkeit stimmt das natürlich nicht. Ein gewisses Maß an Verstörung gehört für mich zu guter Kunst dazu. Nur ist Verstörung für mich nicht das Endziel, sondern ein Mittel, das Erleben zu vertiefen und einen zu bereichern und dann letztlich doch so was wie glücklich zu machen.«

 

Wir haben uns getroffen, um über Friebes neues, sechstes Album »Fuck Penetration« zu sprechen, das, wie schon der Vorgänger »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« auf dem Berliner Label Staatsakt erscheint, einem der letzten gallischen Dörfer der bundesdeutschen Indiemusik-Szene. Einen ersten Voreindruck des neuen Songmaterials konnten die Kölnerinnen sich vor wenigen Wochen im Rahmen der 15-Jahres-Gala des Labels während der c/o pop machen. Mit Muschelketten behangen und mit rotlakierten Fingernägeln stillvoll auffällig, blieb Friebe auf der Bühne des Gloria seiner gebrochenen Popstar-Inszenierung treu. Stimmigerweise fand man ihn zwischen seinen eigenen Bühnenpräsenzen immer im Publikum und sich hingebungsvoll Labelkolleginnen wie Christiane Rösinger, Andreas Dorau und Andreas Spichtl aus der ersten Reihe anschauend.

 

Friebe selbst performte in Köln mit »Worthless« ein Stück, in welchem das Albumleitmotiv der sich auflösenden Beziehung(en) wunderbar gelassen (und auf englisch, dazu später mehr), mit fast schon zärtlicher Geste, in Pianobegleitung und im Gesangsduktus eines reifen Crooners in etwas hoffnungsvolles gedreht wird. Auch wenn es mehrere Hörgänge bedürfte, bis man es im Strudel der textlichen Dichte genau so fühlt: »You and I stand in the snow and fight, I can‘t remember much, only that I was right (...) we thought if we stop talking, it would end our life.«

 

Doch keine Angst, der aufgekratzte Jens Friebe, dessen Einflüsse neben dem klassischen Poprepertoir immer schon Einzelgänger wie Klaus Nomi und Armin von Milch umfasste, auch er findet weiterhin seine Momente auf »Fuck Penetration«. Beispielsweise auf »Call Me Queer«, einem »kabarettistisch hingeschmissenen Statement« an alle jene, die meinen, sich mit dem Attribut queer schmücken zu können, obwohl »andere sich dieses mit mehr Schmerz und Schwierigkeiten erarbeitet haben«. Und natürlich im Titelstück, einem der drei Stücke des Albums, die komplett in englisch gehalten sind und auf dem er befreit die Finger über die Tasten gleiten lässt.

 

Hinter der bedeutungsvoll erscheinenden Veränderung hin zur Zweitsprache stecken mehrere Überlegungen: »Ich wollte mit der Stimme etwas mehr experimentieren, jemand wie Scott Walker zum Beispiel singt ja viel mehr mit Luft und Hohlraum, aber wenn man das auf deutsch macht, klingt es wie Manfred Krug — also habe ich auf englisch dann doch ähnlich gesungen wie auf deutsch«, erläutert Friebe. Und fährt fort: »Ich dachte, ich könnte die Texte auch mal ein bisschen egaler sein lassen und den Popsong in den Vordergrund rücken — das ist nicht passiert, ich texte auch auf englisch mit sehr prägnanten Hooks.«

 

Repräsentativ für den tastenden Prozess dieser (teilweisen) Englischwerdung von Jens Friebe ist bereits erwähntes »Worthless«. Die Refrainidee zu dem Song entstand noch altbewährt auf deutsch, doch da ihm »Wenn Geld Angst hat wird es ein Haus« zu eckig klang, probierte er es einfach auf englisch. »Ab da war es eine Option, der Bann war gebrochen«, erinnert er sich.

 

Auch wenn Friebe sich auf dem Album als ganzes noch nicht den großen Schritt mit der eigenen Stimme wagt, wobei er viel mehr mit dem eigenen Duktus experimentiert, als er selbst im Gespräch erkennen lassen will, so lebt es doch von einem neuen, offeneren Umgang mit Stimmen. Denn Friebe lässt andere verstärkt neben sich zu — da die Texte mit den in ihnen angelegten multiplen Persönlichkeiten geradezu nach Gastsängerinnen gerufen hätten, wie er anmerkt. Wobei er den natürlichen Prozess hervorhebt, in dem dies vor sich gegangen sei, und den Gedanken an ein Konzept sofort wegschiebt. »Es hat sich so ergeben«, erzählt er. »Den Text von »Es leben die Drogen« hat mir Linus Volkmann angeschleppt, ich sollte es eigentlich nur für seine Band Bum Khun Cha Youth vertonen, habe aber dann schon noch bisschen was am Text gemacht.  »Tränen eines Hundes« war für ein Theaterstück von der Gruppe meiner ehemaligen Freundin, BigNOTWENDIGKEIT. Ich fand es logisch, dass die Darstellerin aus dem Stück es auch auf der Platte singt.«

 

Letztlich sei vor allem die Sehnsucht nach einer geselligeren Stimmung, wie sie den Vorgänger »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« prägte, der Grund gewesen, warum die Dinge sich peu a peu so entwickelt hätten.

 

Geselligkeit mag zunächst im Widerspruch zum Trennungsmotiv des Albums stehen, dann aber eben doch nicht, wie Friebe zum Ende unseres Treffens betont: »Eine flockige Gute-Laune-Platte kann ich gar nicht machen, das ist nicht mein Naturell. Aber auch die verzweifelten Lieder haben etwas weniger einsames, mehr so eine galahafte Melancholie, etwas Festliches.«