Cézanne und das Sehen

Regine Barunke verabschiedet sich von der Temporary Gallery mit einer feinen Ausstellung

Blau ist das Metalltor, hinter dem sich die Räume der Temporary Gallery befinden, in diesem Tor gibt es eine Tür, wer hinein will, muss klingeln. Es könnte ein Club sein, der nach außen nicht viel Aufhebens von dem im Inneren Gebotenen macht. Understatement signalisiert auch der Name, denn die »temporäre Galerie« existiert bereits seit 2012.

 

Der Zusatz »Zentrum für zeitgenössische Kunst e.V.« lässt schon eher erkennen, dass sie ein ordentlicher, produktiver Kunstverein ist: Mehr als dreißig Ausstellungen und ein Vielfaches an Vorträgen, Gesprächen, Filmabenden und Konzerten fanden bislang statt; obendrein gibt es ein Beratungsprogramm für Künstler*innen und Kunstvermittler*innen. Unter den vergleichbaren Kölner Institutionen hat sich die »Tempo« nicht zuletzt durch ihre im besten Sinne anspruchsvollen thematischen Ausstellungen profiliert, auch -deshalb wurde sie auf der Art -Cologne 2018 mit dem arrivierten ADKV-Preis für Kunstvereine ausgezeichnet.

 

In diese Reihe gehört auch »Straub / Huillet / Cézanne. Seelen malt man nicht«. Würde es nicht seltsam klingen, könnte man sie eine typische Temporary Gallery-Ausstellung nennen: Der Rahmen des Zeitgenössischen ist weit gefasst, auch geht es nicht nur um Kunstwerke, inklusive Film und Literatur, vielmehr kommen auch Dokumente und Archivalien ins Spiel. Das alles befeuert ein Hin und Her möglicher Bedeutungen und Zusammenhänge, die zu ergründen etwas Zeit und intellektuelle Bewegungsfreude erfordert.

 

Der Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung sind zwei Kunstfilme des Regieduos Jean-Marie Straub / Danièle Huillet, die sich mit faszinierender Sprödigkeit dem Maler Paul Cézanne (1839–1906) widmen und ihn als Fundamentalkünstler vorstellen. Die Tonspuren beider Filme basieren ausschließlich auf Äußerungen des Meisters aus Aix. Im ersten, 1989 entstan-denen Film geht es um das Werk Cézannes: Aufnahmen einiger Gemälde, der Landschaft bei Aix-en-Provence und Fotografien begleiten die von Danièle Huillet gesprochenen Erläuterungen Cézannes, aber auch eine Sequenz aus Jean Renoirs »Madame Bovary«-Adaption und Ausschnitte des eigenwilligen Films nach -Hölderlins »Der Tod des Empedokles« von Straub/Huillet sind eingearbeitet. Der zweite Film »Une visite au Louvre« (2003) zeigt in ausführlichen, statischen Einstellungen von Cézanne bewunderte Werke, die von ihm kommentiert werden. 

 

Um dieses Zentrum gruppieren sich — gut gemischt — zwei Gruppen weiterer Arbeiten. Die eine besteht aus Werken und Dokumenten, die sich selbst auf Cézanne, seine Motive, seine Bilder beziehen. Dazu gehören eine Wanderkarte und Notizen Peter Handkes zur Vorbereitung seines 1980 erschienenen Buches »Die Lehre der Sainte-Victoire«; Fotografien, die den alten Cézanne im Freien bei der Arbeit zeigen, sowie minutiöse Erkundungen seiner Landschaft oder Ausschnitte aus dem obsessiven Beobachtungswerk des praktizierenden Bildtheoretikers Rémy Zaugg, der sich lange Zeit Cézannes Gemälde »Haus eines Gehenkten« verschrieb. 

 

Die zweite Gruppe umfasst Arbeiten, die — sehr grundsätzlich und darin Cézanne nahe — das Wesen der Kunst umkreisen wie Gerald Hemsworth’ konzentrierte, offene Notate. Oder sich für Rahmenbedingungen und Präsentationsweisen interessieren wie das Kollektiv gerlach en koop. Ein spezieller Beitrag ist Harald Bergmanns Filmessay »Schaut euch diesen Berg an — einstmals war er Feuer«. Einerseits dokumentiert er Äußerungen von Straub/Huillet zu »ihrem« Cézanne (und einiges, auch Kontroverses zum »Empedokles« ), andererseits zitiert er einen ihrer Filme, indem auch er in langen Einstellungen »diesen Berg«, den Sainte-Victoire und seine Umgebung, Cézannes großes Motiv, zeigt — und damit ein unzeitgemäß gründliches Sehen gegenwärtig macht. Auch das ist ein Thema dieser Ausstellung.

 

Mit dieser gelungenen Schau verabschiedet sich Regina Barunke nach sechs Jahren engagierter Aufbauarbeit als Kuratorin von Köln, um in Bremen die Leitung der »Gesellschaft für aktuelle Kunst« zu übernehmen. Eine ausgesprochene Köln-Ausstellung für die ersten Wochen des kommenden Jahres ist bereits organisiert, und kurz vor Redaktionsschluss erreicht uns die Nachricht, dass nun auch die Nachfolge geregelt ist: Aneta Rostkowska (*1979 in Szczecin/Stettin, Polen), derzeit Kuratorin an der Akademie der Künste der Welt, übernimm ab Januar 2019 die Leitung der Temporary Gallery. Damit dürfte diese Institution auch in ihrer nächsten Phase ein Ort der anregenden Kunstdiskurse bleiben. Zeitweilig, aber fast schon dauerhaft.

 


Temporary Gallery, Mauritiuswall 35, Do + Fr 11–18, Sa + So 13–17 Uhr, bis 16.12. 

Die lesenswerte Publikation zur Ausstellung kostet 5€.