Arznei aus Hamsterzellen

In den 90er Jahren gab es in Köln die bundesweit ersten Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Das ist vorbei – doch was ist aus den Plänen geworden, Köln zu einem Zentrum der Biotechnologie zu machen? Von Ralph Ahrens.

In Köln wachsen gentechnisch veränderte Pflanzen. Allerdings nur zu Forschungszwecken in Labors des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung (MPI) und im Biologischen Institut der Universität. Freilandversuche finden in und um Köln herum nicht statt. Das war mal anders. Von 1990 bis 1992 experimentierten Forscher am MPI mit Petunien. Sie fügten in die Erbsubstanz der Balkongewächse ein Maisgen ein. Dieses Gen sollte Blütenblätter lachsrot färben. Und die Forscher hofften, mit diesem Farbton so genannte springende Gene nachweisen zu können, Gene also, die die Möglichkeit haben, ihren Ort im Genom zu verändern. Es war die erste Freisetzung genveränderter Pflanzen in Deutschland. Die gesuchten Gene wurden nicht gefunden.

Manipulierte Maispflanzen

Mitte der 90er Jahren folgten Freilandversuche mit genveränderten Kartoffeln. Seitdem sind solche Pflanzen nur noch im Lehrgarten des MPI zu bewundern. In den letzten Jahren wuchsen auf einer Parzelle von fünf mal fünf Metern rund 350 Maispflanzen der US-Firma Monsanto. Sie sehen aus wie konventionell gezüchtete Pflanzen, aber ihre Erbsubstanz ist derart manipuliert, dass sie in jeder Zelle ein Gift bilden, das gefräßige Raupen des Maiszünslers tötet. Dieses Jahr verzichtete das MPI auf den Anbau. »Die Bezirksregierung hat uns dies empfohlen«, betont Wolfgang Schuchert vom MPI. Der Mais geriet erneut in die Schlagzeilen: Das Gift bedroht auch das Leben von Raupen anderer Schmetterlinge.

BioRegion Köln

Doch auch ohne genveränderte Pflanzen im Freilandversuch mausert sich Köln zu einer so genannten BioRegion. Rund 45 innovative junge Unternehmen arbeiten an einer biotechnischen und oft auch gentechnischen Zukunft. Sie haben sich aus gutem Grund hier angesiedelt: Mit der Universität und mehreren Max-Planck-Instituten existiert ein aktives akademisches Umfeld. Sie werden von der Stadt und dem Land NRW hofiert, und Firmen wie die Bayer AG warten gespannt auf ihre Entdeckungen. Und ganz wichtig: Es gibt Geldgeber. So unterstützt die Stadtsparkasse Köln/Bonn bereits seit Jahren junge Biotech-Firmen mit Risikokapital.

Pro und Contra

Doch worum geht es eigentlich? Biotechnologie setzt Er­kenntnisse aus der Biologie und der Bio­­chemie in die Praxis um. Ein Farbcode gibt einen Überblick: Grüne Biotechnik befasst sich mit Pflanzen, rote mit Arzneimitteln, weiße mit industriellen Prozessen. Biotechnologie ist im Prinzip nichts Neues: So nutzen Menschen Hefen schon sehr lange, um Brot, Wein und Bier her­zu­stel­len. Moderne Techniken – inklusive dem gentechnischen Verändern des Erbguts – eröffnen den Forschern aber ganz neue Möglichkeiten.

Und es sind gerade die gentechnischen Veränderungen, die immer wieder kritisiert werden. Ein Beispiel: Forscher entnehmen Gene aus einem Lebewesen und packen sie in ein zweites. Doch Leben lebt. Keiner kann definitiv vorhersagen, was etwa ein BakterienGen in einer Pflanze exakt bewirkt. Vielleicht kreuzen sich genveränderte Pflanze wider Erwarten doch aus und verdrängen Wildkräuter aus ihrem Lebensraum. Es kann auch gut sein, dass ein gentechnisch hergestelltes Medikament unerwartete Nebenwirkungen zeigt.

Energie-Bäume

Doch was machen Kölner Firmen? Drei Beispiele: Im grünen Bereich arbeitet die Phytowelt GreenTechnologies GmbH. Die Firma aus Nettetal hat mehrere Labore auf dem Gelände des MPI. »Wir wollen Energie-Bäume züchten«, erklärt Forschungsleiter Andreas Müller, »etwa Pappeln, die auf schlechten Böden schnell wachsen«. Die Idee: Die jungen Baumtriebe sollen regelmäßig abgeschnitten werden und helfen, als Biomasse unseren Energiehunger zu stillen. »Wir verändern dabei nicht die Gene der Bäume«, betont Müller. Mit einem Trick kann die Firma aber spezielle Zellen verschiedener Bäu­me mi­teinander verschmel­zen und so schnell viele verschiedene neue züchten. In drei Jahren hofft Müller, die ersten schnellwachsenden Bäume präsentieren zu können.

Entwicklung von Medikamenten

Doch es ist vor allem der rote und weiße Bereich, in den hiesige Firmen investieren. Die amaxa AG in Bocklemünd – das mit weltweit 160 Mitarbeitern vielleicht erfolgreichste Jungunternehmen in dieser Branche – hat ein Gerät entwickelt, das es Forschern erlaubt, fremde Gene in tierische oder menschliche Zellen einzuschleusen. Universitäten, Forschungseinrichtungen und die Industrie nutzen das bereits, um Krankheitsprozesse zu verstehen und mit diesem Wissen Medikamente zu entwickeln. Jetzt will amaxa ein Gerät entwickeln, in dem 384 solcher Einschleusprozesse gleichzeitig ablaufen.

Oder die CEVEC Pharmaceuticals GmbH: Die kleine Firma mit zehn Mitarbeitern im Rechtsrheinischen Technologiezentrum Kalk (RTZ) will Arzneimittel in menschlichen Zellen herstellen. Bereits heute werden in genveränderten Hamsterzellen im Labor Wirkstoffe hergestellt – etwa das Eiweiß Erythropoetin (EPO), das bei Nierenversagen hilft (und nicht nur allzu ehrgeizigen Radsportlern). »Der Stoffwechsel der Hamsterzellen hängt aber Zuckerketten an die Ei­weiße, die zu allergischen Reaktionen bei Menschen führen können«, erklärt Geschäftsführer Gero Waschütza. Lassen sich solche Eiweiße aber in menschlichen Zellen herstellen, werden die für Menschen typischen Zuckerketten angehängt. Allergische Reaktionen werden so verhindert, hofft Waschütza.

Politikum Gentechnik

Die Biotech-Stadt Köln wird auch als politische Bühne genutzt. So stellten hier Ende Mai Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft ihre »Kölner Erklärung« vor. Dabei handelt es sich um eine radikale Biotech-Vision: 2030 sollen Hightech-Pflanzen auf Äckern wachsen, um Menschen zu ernähren und vom Erdöl unabhängiger zu machen. Unternehmen werden Stammzellen und Organe züchten, neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung werden das Internet revolutionieren. Der technische Fortschritt wird auch Kosten senken. »Wir werden es erleben, dass das Entschlüsseln eines persönlichen Genoms 1.000 US-Dollar kosten wird«, glaubt Alfred Pühler, Biotech-Experte der Deutschen Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie. Um die Akzeptanz der Vision sorgt er sich nicht. Die Öffentlichkeit würde die rote und die weiße Sparte der Biotechnologie bereits annehmen. Nur beim Anbau genveränderter Pflanzen gebe es Schwierigkeiten, da die meisten Europäer kein Gen-Food essen wollten. »Auch das Problem wird sich mit der Zeit von selber lösen«, ist Pühler sicher.

Wachsender Protest

Es gebe keinen Durchmarsch der Gentechnik, erwidert Gregor Bornes, Fachmann für Gentechnik bei der Patientenberatungsstelle Gesundheitsladen Köln und 1988 Mitbegründer der Initiative »Bürger beob­achten Petunien«, die den damaligen Freilandversuch des MPI scharf kritisierte. Zwar würden Produkte wie Waschmittelenzyme oder Arzneimittel, die von manipulierten Bakterien, Hefen oder Nagetierzellen in Fermentern oder Zellkulturen hergestellt werden, nur wenig kritisiert, so Bornes, »doch über Gentherapie oder embyronale Stammzellen wird heiß dis­kutiert«. Ihn freut auch, dass der Protest alle Gesellschaftsschichten erreicht habe – gerade bei der grünen Gentechnik. Imker wehren sich, Kirchen rufen genfreie Zonen aus, bayrische Landwirte bringen die CSU ins Wanken. Und immer mehr Leute protestieren auf ihre Weise gegen Gen-Food: Sie kaufen in Biosupermärkten ein.

»Der Widerstand der Straße ist in Köln zurzeit eingeschlafen«, meint Bornes. Es fehlten die Identifikationsorte für Aktionen. Würden aber die Uni, das MPI oder eine Firma wieder genveränderte Pflanzen freisetzen, werde der Gesundheitsladen wieder Anlaufpunkt für den Protest auf Äckern und Straßen sein, da ist sich Bornes sicher – so wie vor 17 Jahren bei den Petunien.

Info:
Ein Überblick über die hier ansässigen Biotech-
Unternehmen gibt es unter www.biocologne.de
Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung:
www.mpiz-koeln.mpg.de

Gesundheitsladen Köln: www.gesundheitsladen-koeln.de
Die »Kölner Erklärung« kann man sich unter
www.bioperspectives.org/Cologne_Paper.html
ansehen (vollständige Version in Englisch;
auf Deutsch gibt es hier nur eine Kurzversion)