Ausgesaugt

Von den Weltmeeren bis in unsere Körper — überall Plastik. Jetzt will die Europäische Union den Wahnsinn stoppen. Verbote oder Besteuerung von Wegwerfartikeln aus Plastik wie Besteck, Geschirr, ja selbst Luftballons sind geplant (siehe auch Seite 20).  Dabei gerät auch der Trinkhalm ins Visier. Gut so! Dessen Verbot ist doppelt geboten: umweltpolitisch und kulinarisch. Ein Trinkhalm ist immer grober Unfug. Braucht man etwa dessen Weichmacher für allzu harte Drinks? Weshalb sollte man ein Röhrchen aus schäbigem Industrieplastik in einen gutes Getränk stecken? Und dann das andere Ende noch in den Mund nehmen! »Der Strohhalm ist einfach eine Ikone und steht für ein zurückgelehntes Freizeit--Feeling«, wirbt ein Händler für Bar-Zubehör. Die Reklame hat den schnöden Trinkhalm symbolisch aufgeladen. Er steht für Sommerlaune und »fun«, vermittelt etwas Laszives, auch Anzügliches. Das Personal dieses werberischen Bildprogramms ist schmal: Kaum, dass man einen Mann sähe, der am Halm saugt. Immer sind es Frauen, oft zu zweit über einen pompösen Cocktail gebeugt. Immer ist das Saugen am Halm eine Regression. So, als warteten wir noch auf die ersten Zähnchen. Überhaupt muss ja Nahrung heute auch für Erwachsene sanft, geschmeidig und kindlich sein — deshalb wird so vieles zum Smoothie verquirlt. 

 

Der Trinkhalm rangiert in der Funktion zwischen Trinkgefäß und Flasche — also zwischen Tischkultur und Nahrungsaufnahme aus der Industrieverpackung. Das passt zu unserem Selbstverständnis als mobile eaters, die wir uns aus der Verpackung ernähren statt am gedeckten Tisch. Kulinarisch ergibt der Halm keinen Sinn. Die Nase bekommt kaum Aromen zu schnuppern, wie es geschieht, wenn man ein Glas an den Mund führt. Und nie stellt sich beim Saugen am Trinkhalm jenes mundfüllende Gefühl wie beim Trinken ein. Wenn nun Start-ups »essbare Trinkhalme« auf den Markt bringen, muss eine Frage erlaubt sein: Was soll der Quatsch? Wer mag nach Limo oder Longdrink einen noch so nachhaltigen Trinkhalm aufessen? Warum nicht gleich Makkaroni in die Cocktails stecken? Der Trinkhalm ist immer falsch.

 

Dann lieber ein funktional ähnliches, aber weitaus randständigeres Utensil in den Blick nehmen und aus dem sanitären Schattendasein ins Rampenlicht neuer Design-Ambitionen stellen: die Schnabeltasse. Bemitleidenswerter als mit einem Trinkhalm im Gesicht sieht man damit auch nicht aus.