Zurück in eine andere Wirklichkeit

Mit ihren Alben hat die griechische Komponistin Lena Platonos vor dreißig Jahren den Elektro-Pop bereichert. Jetzt trat sie erstmals in Deutschland auf

Wir schreiben den 2. November, die Luft im Keller des Neuköllner Clubs Arkaoda ist kaum noch als solche zu bezeichnen, als um kurz nach Mitternacht Lena Platonos endlich zur Bühne geführt wird. Für die mittlerweile 67-Jährige ist es der erste Auftritt in Deutschland, und das obwohl sie Mitte der 70er Jahre einige Zeit in Berlin gelebt hat. Symptomatisch für den Karriereverlauf von Platanos, die außerhalb ihrer Heimat nicht annährend die Beachtung geschenkt bekommt hat, die ihr Werk und sie verdienen. 

 

Die Sensation vollbracht hat das DICE-Festival-Team um Caoimhe McAlister, Danielle Kourtesis und Bade Kaya. Sie verfolgen den Anspruch, etablierte KünstlerInnen und neue Talente zu einem Dialog der Generationen zusammenzubringen: Der Auftritt von Platanos ist eingebettet in ein Line-up aus jüngeren Acts wie Kim Ki O, Surma und Suutoo. So gut das Gespür der OrganisatorInnen für die Zusammenhänge ist, mit der späten Uhrzeit haben sie Platanos jedoch keinen Gefallen getan, sie wirkt merklich gezeichnet vom subtropischen Klima, als sie endlich den ersten Song anstimmt . Doch binnen Sekunden lösen sich alle Bedenken auf. 

 

»Ich habe mir die Musik nicht als Kunstform ausgesucht, die Musik hat sich meiner bemächtigt als ich zwei Jahre alt war«, berichtet Lena Platonos. Vergegenwärtigt man sich die aufwühlenden Gefühswelten, die die 1951 in Heraklion auf Kreta geborene Komponistin in ihre Musik einzubringen vermag, so verwundert der Duktus ihrer Worte kaum. »Es war an Weihnachten, ich lag mit Fieber krank im Bett und lauschte meinen Vater, der einen Kinderchor am Klavier begleitete«, fährt sie fort. Später an diesem Tag, als ihr Vater, der Komponist und Pianist George Platon das Haus verlassen hatte, sei sie dann von der Langeweile getrieben selbst ans Klavier gegangen, um die eben gehörten Weihnachtslieder nachspielen — »und von diesem Tag an spielte ich Klavier«.

 

Musik, das wird im Austausch schnell deutlich, ist für Lena Platonos nichts, was außerhalb des eigenen Körpers stattfindet, sie ist elementarer Bestandteil ihrer DNA (so auch der Name ihrer ersten Band, die sie in den 70er Jahren mit mit Heracles Triantaphyllidis hatte). Erst die Musik gebe »allen Aspekten ihres Lebens Farbe«, weswegen, um zu vermeiden, dass sie plötzlich alles schwarzweiß sehe, im Haushalt 24 Stunden am Tag das Radio läuft, »selbst dann, wenn ich schlafe«.

 

Wie nicht wenige MusikerInnen ihrer Generation war Lena Platonos bereits auf einem anderen Pfad unterwegs, als die Hippiebewegung und die 68er-Revolte ihr Leben mit einem Schlag veränderten sollten. Statt sich weiter vom System der Klassischen Musik disziplinieren zu lassen, gab sie sich »der Freiheit und der von der Boheme verbreiteten Liebe« hin. »Damals wurden die Regeln der konservativen Welt gebrochen und alternative Lebenswege aufgezeigt, die auf mich einen großen Reiz ausübten: Make love not war!«

 

Ihre Reputation basiert hauptsächlich auf ihren zwischen 1984 und 1986 erschienenen Alben »Sun’s Masks«, »Galop« und  »Lepidoptera«: dunkle, magisch beschwörende Synthie-Elegien. Es sollte allerdings bis ins Jahr 2013 dauern und einer E-Mail aus den USA bedürfen, um ihre visionäre Musik auch außerhalb von Griechenland zu entdecken. Geschickt wurde die Mail von Josh Cheon, dem in San Francisco beheimateten Betreiber des Labels Dark Entries, das bekannt dafür ist, KünstlerInnen auszugraben. 

 

Sie habe schon immer gewusst, dass es so kommen würde, gibt Platonos zu verstehen, schließlich beruhe ihre Musik ja auf »Visionen der Zukunft«. Hilfreich für diesen selbstbewussten Blick auf das eigene Werk dürfte ihr steter Erfolg in ihrem Heimatland Griechenland gewesen sein, zumal ihr dieser mittels Aufträge für Theater, Ballett und Fernsehen ermöglichte, ein abgesichertes künstlerisches Leben zu führen — zumindest bis das Land ab 2008 unter den Auswirkungen der Finanz- und Eurokrise zu leiden begann.

 

Ähnlich wie ebenso einflussreichen MusikerInnen wie Suzanne Ciani, Pauline Oliveros und Delia Derbyshire hat sich Lena Platanos früh in den Möglichkeitsraum von Synthesizern begeben, die für sie magische Instrumente sind. Wobei Platanos, in Abgrenzung zu diesen KollegInnen auch den Texten von Anfang an große Bedeutung zukommen ließ. Für sie, die an die »Macht der Worte glaubt«, sind diese ein Vehikel, um gleichermaßen den eigenen Beziehungskosmos als auch den Wandel einer Welt unter dem Einfluss neuer Technologien zu thematisieren. Am wichtigsten aber sei für sie, dass sie über die Texte erst zu ihrem Sound finden würde: »Ich sehe meine Musik in den Texten!«

 

So präsent Lena Platonos im Raum ist, umgibt sie zugleich doch eine geheimnisvolle Aura der Abwesenheit. Im Konzert manifestiert sich dies in geradezu chamäleonartigen Veränderungen, die einsetzen, wenn sie zu singen beginnt. »Ich erhoffe mir, dass meine Songs zu einer intensive Verbindung zwischen dem Publikum und mir führen«, hatte sie sich vor dem Konzert gewünscht. Zumindest dieser Wunsch wird in dieser Nacht im Arkaoda wahr.Dennoch kann man sich zwischen diesen Momenten nicht von den Bauchschmerzen freimachen, die einem der Auftritt beschehrt angesichts einer Künst-lerin, die weit über die Grenzen der Belastbarkeit auf einer Bühne sitzt — mehr im Delirium denn in der Lage, die Liebe, die ihr begegnet überhaupt mitzubekommen. Der ängstliche Blick ihrer Assistentin, die neben ihr ausharrt, spricht Bände. Doch dann nehmen einen wieder Lena Platanos Stimme und ihre großen, traurigen Songs mit in eine andere Wirklichkeit, und man lässt es gerne geschehen. 

 

lenaplatonos.bandcamp.com