Birds of Passage

Cristina Gallego und Ciro Guerra erzählen vom Ursprung der Drogenkartelle

Wenn die indigenen Clans der Wayuu in Kolumbien einander etwas wichtiges mitteilen, kommunizieren sie nicht auf direktem Weg. Stattdessen schicken sie einen »Wortbringer«, der der Gegenseite ein Angebot unterbreitet, verhandelt oder bei Streit als Mediator auftritt. Mit romantisierten Vorstellungen von Ureinwohnern, die ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur führen, hat »Birds of Passage« wenig zu tun. Der Film zeigt den Alltag der Wayuu, der bestimmt ist von komplexen Gesetzen und Ritualen, von Initiationen, Trauerriten, Vertrauensbeweisen — und von Vergeltung. Die Familien in der Wüste und jene in den Bergen, Spanier und Gringos machen miteinander Geschäfte, wenn es dem eigenen Vorteil dient. Doch sie beäugen einander misstrauisch.

 

»Birds of Passage« ist in Co-Regie von Cristina Gallego und Ciro Guerra entstanden, der bereits in »Der Schamane und die Schlange« ein Kapitel südamerikanischer Geschichte aus indigener Perspektive erzählte. Diesmal spielen Mythen und orale Traditionen eine weniger offensichtliche Rolle, denn in »Birds of Passage« geht es um ein irdenes Thema: den Drogenhandel. Alles beginnt mit ein paar US-amerikanischen Hippies, denen man Marihuana besorgen soll. Schnell werden die Deals größer und mit ihnen auch die Autos, die Häuser und Waffen. Zugleich schrumpfen die Hemmungen.

 

Gallego und Guerra erzählen in epischer Breite von der Hybris Einzelner, die zu einem Krieg zwischen den Clans führt. Es ist gewissermaßen die Ursprungsgeschichte aller in Südamerika angesiedelten Drogenthriller, denn das Drehbuch basiert auf wahren Begebenheiten. Gezeigt wird der Aufstieg und Fall einer Wayuu-Familie zu Beginn der boomenden Marihuana-Exportindustrie in der Region La Guajira seit den späten 60er Jahren.

 

Und doch hebt sich »Birds of Passage« mit seinem fast ethnografischen Zugriff und der von traditionellen Instrumenten dominierten Musik stark von anderen Kartellfilmen ab. Gallego und Guerra zeigen einen Tatort meist erst, nachdem Gewalt dort schon geschehen ist. Es geht ihnen weniger um die Schauwerte als um die hinterlassenen Blutspuren auf der Erde und um die zerstörten Kulturen und Werte. »Noch nie hat es Gewalt gegen das Wort gegeben«, entrüstet sich eine Stammesälteste, als sich herumspricht, dass dem Krieg der Clans ein Wortbringer zum Opfer gefallen ist. Die Perspektive der Indigenen kommt bisher in der Geschichtsschreibung selten vor — auch das ist Gewalt gegen das Wort, die »Birds of Passage« ein Stück weit korrigiert.

 

 

Birds of Passage (Pájaros de verano) COL/DK/MEX 2018, R: Cristina Gallego, Ciro Guerra, D: Natalia Reyes, José Acosta, Carmiña Martínez, 125 Min. Start: 20.12.