Im falschen Film

Wieder sind zwei Kölner als politische Gefangene in der Türkei inhaftiert

 

Bei der Pressekonferenz am 14. November sind alle Kameras auf sie gerichtet. Dilan Örs, eine selbstbewusst wirkende Frau mit langen, schwarzen Haaren, spricht unter Tränen in die Mikrofone der Journalisten. »Bis vor kurzem hatte ich noch Hoffnung, dass die Gerechtigkeit ihren Weg finden wird«, sagt sie. »Jetzt müssen wir weiter kämpfen.« Nur wenige Minuten zuvor hatte sie über Telefon erfahren, dass ihre Mutter soeben verurteilt worden war. Sechs Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe hatte das türkische Gericht in Endire über die kurdische Sängerin und Filmemacherin Hozan Canê, mit bürgerlichem Namen Saide İnaç, verhängt — per Live-Videoschaltung aus dem Gefängnis. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Es ist bereits die dritte Verurteilung eines Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft in der Türkei innerhalb der vergangenen drei Monate.

 

»Wir waren uns des Risikos der Reise bewusst«, erzählt Dilan Örs einige Wochen später am Telefon. Noch immer ist ihr die Anspannung deutlich anzuhören. Mit einem Auftritt als Sängerin hatte ihre Mutter den Wahlkampf der prokurdischen Oppositionspartei HDP unterstützt, die seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 die drittstärkste Kraft im Parlament bildet. Auf dem Rückweg im Bus war sie von der türkischen Polizei verhaftet worden. Die Anklage gegen Hozan Canê stützt sich auf Ausschnitte eines Films, den sie 2016 auf eigene Faust in Syrien drehte und der die Brutalität des IS gegenüber den Jesiden thematisiert. Hozan Canê, Hauptdarstellerin des Films, der unter anderem in Cannes gezeigt wurde, geschminkt und lachend mit Maschinengewehr im Schützengraben — die türkische Staatsanwaltschaft sieht dies als Beweis für ihre Mitgliedschaft in der als terroristisch eingestuften Untergrundorganisation PKK.

 

Gerade einmal zehn Minute pro Woche darf Dilan Örs mit ihrer Mutter telefonieren. Im Frauengefängnis in Istanbul teilt sich Hozan Canê eine Zelle mit dreißig weiteren politischen Gefangenen. »Das Warten und die Unsicherheit darüber, wie es weiter geht, ist für sie unerträglich«, sagt Dilan Örs. Unmittelbar nach dem Urteil hatte der Anwalt von Hozan Canê Revision eingelegt, doch bis eine Antwort des Gerichts erfolgt, vergehen häufig mehrere Monate. Dilan Örs gibt sich dennoch kämpferisch: »Wenn es sein muss, gehen wir bis vor den Europäischen Gerichtshof.«

 

Auch der 33-jährige Adil Dermici sitzt seit April 2018 in Istanbul in Untersuchungshaft. Der Journalist und Mitarbeiter des Internationalen Bundes, einem Verein für Jugend- und Bildungsarbeit, hatte seine Mutter bei einem Familienbesuch in die Türkei begleitet. Einige Tage nach seiner Ankunft wurde er in den frühen Morgenstunden in der Wohnung seines Onkels verhaftet. Er habe, so soll es in der Anklageschrift heißen, 2013 an einer Trauer-feier für kurdische Gefallene im Kampf gegen den IS teilgenommen. Dermici hatte darüber für die türkei-kritische Nachrichtenagentur ETHA berichtet, für die auch die mittlerweile freigelassene Meşale Tolu arbeitet. Auch ihm wirft die türkische Staatsanwaltschaft die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Er soll, so heißt es in dem mittlerweile vom Anwalt widerlegten Beweismaterial, auf der Trauerfeier ein Transparent getragen haben.

 

»Die Vorwürfe gegen Hozan Canê und Adil Dermici sind nicht haltbar«, kommentiert der Investigativjournalist Günter Wallraff. Er unterstützt die beiden Angeklagten im Prozess — und verbürge sich nach eingehender Recherche für deren Unschuld, erklärt er bei der Pressekonferenz in Köln. Doch Wallraffs Kritik richtet sich auch gegen die Bundesregierung, die aufgrund wirtschaftlicher Interessen nicht genug unternähme, um sich für die Freilassung der »politischen Geiseln« einzusetzen. Mit einer sechsköpfigen Delegation war Wallraff zum Auftakt des Prozesses gegen Adil Dermici am 20. November nach Istanbul gereist.

 

Auch Jörg Detjen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kölner Rat, war Teil der Delegation. In einer Sammelklage seien mit Dermici 22 weitere Angeklagte vor Gericht gestellt worden — für ein Ereignis, das vier Jahre zurückliege, berichtet Detjen. Unter ihnen sei auch eine junge Frau, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung noch minderjährig war, sowie einige Personen, die zum Prozess geladen wurden, ohne jemals eine Anklage erhalten zu haben. »Wir haben es hier mit einer neuen Qualität der Repression des türkischen Staates zu tun«, sagt Detjen. »Die Willkür ist nicht berechenbar, weder für Menschen in der Türkei, noch für jene, die mit deutscher Staatsbürgerschaft dorthin reisen.« Die nächste Verhandlung gegen Adil Dermici findet am 14. Februar 2019 statt.