Krefelds Avatare

Ein Pop-Phänomen auf Twitter, für Twitter, dank Twitter: The Screenshots

Viele Geschichten und historischen Begebenheiten könnte man aufführen, um das schockhafte Moment abzubilden, das sich Anfang des letzten Jahrhunderts abgespielt haben muss, als die Moderne in das Leben der Menschen in Europa, den USA oder auch den Großstädten Russlands einbrach. Eine der bekanntesten Geschichten spielte sich tatsächlich erst recht spät in dieser Entwicklung ab: 1938 nämlich, als hunderte Hörer des Hörspiels »Krieg der Welten« aus der Feder Orson Welles‘ auf die Straße strömten und die Telefonnetze heiß liefen, da sie dieses fiktive Stück für eine reale Reportage gehalten hatten. Die Überforderung und fehlende Medienkompetenz führte zwar nicht zu einer Massenpanik, wie häufig kolportiert wird, aber doch zu gewissen Verwerfungen und einer umfassenden Aufarbeitung seitens verschiedener Medien. Heute überrascht das Radio nur noch selten, dafür sorgen die sogenannten sozialen Medien immer wieder für Skandale und Skandälchen — von Pizzagate bis Postillion. Der Diskurs rutscht dementsprechend immer wieder ins Negative ab, wohingegen die doch zivilisatorisch interessanten Vernetzungsmöglichkeiten heruntergespielt werden. Dabei kann in den Netzwerken immer noch Wunderbares entstehen.

 

Das neuste (Musik-)Phänomen aus dieser schier uferlosen Vernetzungswelt dürften The Screenshots darstellen — die sich wie im Kontrast dazu in der spröden Niederrhein-Metropole Krefeld lokalisieren. Bestehend aus den Twitter-Persönlichkeiten Susi Bumms, Dax Werner und Kurt Prödel, verstecken sich die (vermutlich) drei Musiker*innen hinter ihren selbstgemalten Avataren. Viel erfährt man nicht von ihnen: Von Prödel weiß man seit einem Artikel auf rap.de, dass er an der Kölner Kunsthochschule für Medien studiert hat und Videos für Moneyboys »Glo Up Dinero Gang« gedreht hat, Werner gehört zum erweiterten Kreis des Titanic-Magazins. Der Versuch, ein Treffen zu verabreden, scheitert gleich zweifach: Weder über das Management noch über private Kontakte sind die drei zu erreichen; die Maske der virtuellen Band darf wohl nicht fallen.

 

Ob die Musik diese konzeptuellen Verheißungen einlöst? Könnte man zumindest darüber streiten. Gitarre, Bass und Schlagzeug — deutscher Diskurs-Gitarren-Pop zwischen Indie (frühe Tocotronic) und Intelligent (PeterLicht) prescht einem auf der »Europa-LP« entgegen. Diese LP ist ein Kompendium aus zwei in Eigenregie veröffentlichten EPs, die Anfang 2018 für Furore sorgten. Nicht zuletzt weil Jan Böhmermann persönlich seinen Daumen hoch gehalten hat und die Band gleich mehrfach in seine Monatslisten, oder wie der Kram auf Spotify heißen mag, gewählt hat.

 

Per E-Mail also nun auf der Suche nach der Band, die »unironisch ins mark der postinternet-generation« trifft, wie es bei einem anderen Twitter-Phänomen namens casparla hieß. Oder auch nicht: E-Mail-Interviews sind meist unbefriedigend. Die Fragen sind häufig eintönig oder aber höchst spekulativ, die Antworten sehr abwägend. Davon ist niemand Fan: Kommunikation auf ein Mindestmaß reduziert. Aber auch auf dieses Mindestmaß wollte sich die Band nicht einlassen. Das Mirakel The Screenshots als Möglichkeitsraum und Projektionsfläche soll aufrecht erhalten bleiben — nicht, dass irgendjemand daran hätte rütteln wollen. 

 

Bei der Recherche für den Artikel begebe ich mich in das Twitterversum. Die Codes sind anfangs verwirrend und kaum nachvollziehbar. Warum hat der eine Post, der sich noch an der Laiensprache (1 statt eins, bim statt bin) abarbeitet, plötzlich »25k« Likes und Retweets (die amerikanische Verkürzung ist allgegenwärtig)? Überforderung in den ersten Tagen. Man fühlt sich den Radiohörern von damals nah, auch jenen Kinogängern, die beim ersten Godzilla-Film an Herzattacken gestorben sein sollen: Ein grundlegendes Gefühl des Abgehängtseins stellt sich ein, plötzlich kann man nachvollziehen, warum die eigenen Eltern anrufen, wenn sie das »Internet gelöscht« haben wollen und dabei nur die Verknüpfung mit Firefox meinen. Aus jeder Überforderung kann aber auch eine Aufgabe erwachsen: Sich reinschmeißen in das Screenshots-Vergnügen und analysieren oder gar inhalieren, was das Neue so neu macht. Viel geliket: Tweets irgendwo zwischen cool und kühn, süß, naiv und gleichzeitig besserwisserisch. (Ein Schelm, der Böhmermanns Erfolg beim Social-Media-Service darauf runterbrechen mag!) Nach oben treten oder die kleinstmögliche Einheit thematisieren: Die eigenen vier Wände oder die eigene — womöglich nicht vorhandene — Beziehung. Und Witze und Kalauer und Wortspiele und Satire; gerne auch über das Portal selbst.

 

Wenn man mit diesen Erfahrungen sich nochmal die Musik der Screenshots zu Gemüte führt, der wird gleich feststellen: das versteh ich nun. Twitter als Vorstufe zur Titanic, die Screenshots spielen den Soundtrack dazu. Selbstreferenziell wie beim Opener »Bühne« geht es häufig zu, das eigene Tun immer reflektierend, erweitert um ständiges Kommentieren der eigenen Belanglosigkeit und Minderwertigkeit der eigenen Gefühle. Vielleicht ist das wirklich die Post-Internet-Generation, die da spricht und singt — wenn dem so ist, möchte man sein Geld zurück. Wer sich das Album trotzdem kauft, sollte sich das Vinyl-Format erwerben. Dann hat man wenigstens die Gewissheit, nicht zu den Kiddies mit ihren Spotifys zu gehören.