Die ewige Gefängnismetapher

Ulrike Janssen inszeniert mit »Das angehaltene Leben« die Gefühlswelt eines Häftlings

»Jeder Ort braucht ein Gefängnis«, so die Erkenntnis nach jahrzehntelanger Gefangenschaft. Doch was ist Gefangenschaft? Jedenfalls mehr als das Absitzen von Zeit in einer geschlossenen Zelle. Der Roman »Das angehaltene Leben« von Maurizio Torchio verhandelt Fragen nach Freiheit und Macht anhand der Geschichte einer Geiselnahme. Die Tochter eines Kaffeehändlers wird verschleppt und zwecks Lösegeld über Monate in einer dunklen Höhle im Wald festgehalten. Mit dem Verstreichen der Zeit verschieben sich jedoch die Grenzen der Entführung. 

 

Das Reale und das Menschliche greifen um sich: Die Absurdität scheint durch die völlig realitätsferne Höhe des Lösegeldes und der Feststellung, dass die Geisel stets bewacht werden muss. Täter und Opfer entwickeln trotz Grausamkeiten — intelligent: »Ohren abschneiden ist immer gut« — eine Verbindung. Aus der Isolationshaft heraus, die den Täter zwanzig Jahre später nach und nach wahnsinnig werden lässt, folgt der Zuschauer dessen Gedanken, der, einmal zum Freigang aus der Zelle befähigt, im Rausch der körperlichen Sinneswahrnehmungen auch noch einen Wärter ersticht. Man wird zum Zeugen einer psychotischen Entwicklung eines Häftlings, mit der man beängstigenderweise aber nicht fremdelt.

 

Bis Ende Januar kann man sich die Inszenierung des Romans im Theater der Keller noch anschauen. Regisseurin Ulrike Janssen hält dabei eine permanent beklemmenden Atmosphäre aufrecht. Es vergeht kaum Zeit, ohne dass jemand auf der Bühne angekettet ist und körperlichen oder verbalen Automatismen folgt. Das Moment der Anspannung ist neunzig Minuten lang zu spüren. Die Rolle des Täters teilen sich dabei zwei Schauspieler. Eine gute Idee, die leider nur, wie viele Motive im Stück, nicht konsequent umgesetzt wird, da immer wieder Unklarheiten aufkommen. 

 

Die Adaption der Romanform gelingt, dem Springen zwischen den Zeiten und der Darstellung in der Retrospektive kann man gut folgen. Im letzten Teil verlieren sich die Fäden jedoch, es ist nicht mehr ganz klar, was eigentlich thematisiert wird. Der Entwurf eines »neuen Gefängnisses«, in dem alles automatisch ist und in dem es keine Zeugen mehr gibt, weil es keine Konflikträume mehr gibt, bleibt als Entwurf einfach im Raum stehen, ohne dass dem Zuschauer die Möglichkeit gegeben wird, diese Idee zu kontextualisieren. Was schade ist, da gerade in Innovationen zur Architektur der ewigen Gefängnismetapher so viel Potential liegt.