Nur ein Trostpflaster

Die so genannte Stadtplanung von unten ist ein zweischneidiges Schwert, meint Felix Klopotek

Eine kleine Straßenkreuzung in einem schäbigeren Teil Ehrenfelds: An den vier Ecken ein kleiner italienischer Supermarkt, zwei Kioske, eine Kölschkneipe, wenig Verkehr. Bei schönem Wetter ist die Kreuzung belebt, die Kioskbesitzer stellen leere Bierkästen vor die Tür, Nachbarn und Freunde kommen, trinken billiges Bier, hocken rum, die Kneipe hat die Tür eigentlich immer weit offen stehen.

Man muss diese Situation nicht überhöhen, aber man kann sie durchaus als alternative Stadtnutzung bezeichnen: Fakt ist, dass an dieser Ehrenfelder Ecke die Belebung »ein­fach so« passiert ist, ungeregelt, spontan. Fakt ist auch, dass diese Aneignung die Sicht auf dieses Viertel entscheidend prägt. Die Häuser sind unverrückbar, und die Straße kann man nicht verlegen, aber es macht einen Riesen­unterschied, ob hier Leute hocken und trinken oder ob Autos rauschen.

Spontane Raumnutzung

Schlössen sich die Leute, die diese Ecke für sich entdeckt haben, zu einer Bürgerinitiative zusammen und forderten bessere Nutzungsbedingungen ein – Erlaubnis zum Aufstellen von Bänken, Verkehrsberuhigung, Aufhübschung der Bürgersteige durch Blumenkübel –, dann hätten wir einen Fall von informeller Stadtplanung oder auch: Stadtplanung von unten. Die spontane Nutzung des öffentlichen Raums gibt es, ohne dass politische Initiativen dazu aufrufen oder die Kommunalpolitik sie eigens beschwören müsste. In den letzten Jahren gibt es nun von Seiten der Politik ein verstärktes Interesse daran, dass aus diesen freien Nutzungen Initiativen entstehen, die den Wildwuchs in konkrete, realistische Vorschläge fassen. Stadtplanung »von unten« ist also etwas, was »von oben« ermuntert und begünstigt wird.

Auf www.stadtteilarbeit.de kann man sich eine ganze Reihe von Beispielen angucken, die mit Bürgerengagement für Stadt und Nachbarschaft zu tun haben: »Die interkulturellen Gärten Marburg« werden dort vor­gestellt oder »Regionalwarenläden zur nachhaltigen stadtteilbezogenen Versorgung in Hannover«. Ein anderes Beispiel präsentiert das Netz-Magazin Telepolis: »Raumpioniere erobern Brachen. Jetzt unterstützen Verwaltungen Projekte zur temporären Nutzung von innerstädtischen Brachflächen«. Das Land NRW etwa gab 2004 vierzig Millionen Euro aus, um im Rahmen der Stiftung »Initiative ergreifen« Bürger in »ihrem kreativen Wettbewerb um die besten Ideen und Projekte für ihre Stadt oder ihr Wohnquartier« zu unterstützen. »Bürgerschaftliches Engagement und neues Unternehmertum in der Stadterneuerung« heißt das Stichwort.

Gemeinsamer Diskurs?

Der Kölner Stadtplanungsdezernent Bernd Streitberger betont im Gespräch denn auch, dass die informelle Planung von Bürgerinitiativen heutzutage sehr qualifiziert sei und die Zeiten, in denen solche Initiativen auf Konfrontationskurs zur offiziellen Stadtpo­litik gingen, vorbei seien. Es werde der gemeinsame Diskurs gepflegt. Aber, und das unterstreicht Streitberger: Die Planung des öffentlichen Raums bleibe eine Aufgabe der Stadt. Wenn man es kritisch sehen wollte, meint ­Kay von Keitz, einer der Köpfe von »Plan«, des Forums für aktuelle Architektur in Köln, dann sei das Interesse der Politik an informeller Stadtplanung nur ein Trostpflaster. Große urbane Projekte wie in Skandinavien, bei denen die Planung wesentlich in den Händen unabhängiger Initiativen liege, gebe es in Deutschland »noch lange nicht«.

Die 60er und 70er Jahre waren Jahre der administrativen Planung und Regulierung. Der Ausbau von Ortschaften in der Nähe urbaner Zentren war ein politischer Prozess – im ehemals ländlichen Kreis Mettmann leben heute über eine halbe Millionen Menschen. Große, moderne Siedlungen an den Stadträndern – Chorweiler! Meschenich! – sollten den Menschen etwas Besseres bieten als die muffigen Arbeiterviertel der Innenstadt. Ein sozialdemokratisches Projekt.

Heute sind die Städte pleite, die Industrie wandert aus den Stadtkernen aus, neue Armutsquartiere entstehen, und die Politik weist alle Verantwortung von sich: »Die Leis–tungsfähigkeit des Wohlfahrtsstaates stößt an ihre Grenzen und bedarf der Ergänzung durch Eigenverantwortung und gemeinwohlorientierte Initiativen, um soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen«, verkündete vor drei Jahren Manfred Morgenstern, sozialdemokratischer Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Ministerium für Städtebau und Wohnen. Das klingt in Zeiten von Hartz IV zynisch: erst ein politisches Elendsprogramm auflegen und dann darauf setzen, dass nachbarschaftliches Engagement und Quartiersmanagement das Gröbste schon ausbügeln werden.

Kommerziell statt links

Stadtplanung von unten ist kein ge­nuin linkes Projekt. Die Raumpioniere, die Brachen beleben, sind »nicht mehr politisch motivierte Personen wie die Hausbesetzer, sondern Leute, die in der Gesellschaft angekommen sind und nun etwas Neues ausprobieren wollen«, meint der Landschaftsarchitekt Klaus Overmeyer im Gespräch mit Telepolis. Der Stadt­soziologe Klaus Ronneberger weist darauf hin, dass die Wiedereroberung des öffentlichen Raums von Bürgern auch so verstanden wird, dass sie störende Menschengruppen – Obdachlose, Bettler, Jugendliche, Punks, arme Leute, die auf der Straße ihr Bier trinken – vertrieben werden sollen.

Bürgernahe Stadtnutzung heißt für viele Leute, so Ronneberger, »Durchsetzung von Normalitätsstandards«, und die gehen ­rigide über die Bedürfnisse der Nicht-Normalen hinweg. Denn »Normalität« ist für viele Bürger die Kopplung von Konsum und städti­schem Raum: Er ist dazu da, ungestört einkaufen zu gehen, zu flanieren, sich in gehobener Gastronomie verwöhnen zu lassen (und abends ein »Event«) – Ronneberger nennt es auch die »Mall-Stadt«. Dazu passt, dass viele reanimierte Brachen jener urban pioneers schlicht kommerzielle Projekte sind – Cafés und Verkaufsstände.

Sympathisch, dass die Leute an der ­Eh­renfelder Kreuzung sehr wahrscheinlich nicht wissen, dass sie kommunalpolitisch ­
und zivilgesellschaftlich sozusagen die Avantgarde bilden.



Architekturfestival plan07:
Das zentrale Thema von plan07 (21.-28. September) ist »Urbanismus«. Einige Projekte beschäftigen sich auch mit so ge­nannter Stadtplanung von unten – hier drei Beispiele:

Projekt:
Die Initiative »Südstadt 2030« machte bereits vor zwei Jahren mit dem Projekt »SeniorInnenparadies« auf die städtebaulichen Potenziale und Mängel der Kölner Neustadt aufmerksam und widmet sich auch weiter der Frage: Ist Wohnen im Alter hier möglich?

Ausstellung:
Boris Sieverts, der das »Büro für Städte­rei­sen« unterhält, machte sich in Köln vor allem einen Na­men mit seinen Führungen durch Stadtlandschaften abseits der Touristenziele. Die Ausstellung seiner Arbeit im Kölner Kunstverein und das Veranstaltungsprogramm werden auch von plan07 getragen. Im Rahmen dessen wird auch das Projekt »Land for free« vorgestellt, an dem Sieverts beteiligt ist: Brachflächen im Ruhrgebiet können »von Abenteurern, Künstlern und Entrepreneurs aus ganz Europa« besiedelt werden.

Podiumsdiskussion:
Jack in the Box ist ein Verein, der inno­vative Modelle der Beschäftigungsförderung entwickelt und sich kulturell, sozial und auch städteplanerisch einmischt. Im Rahmen von plan07 wird Jack in the Box einen zum Wohn- und Arbeitsraum umgebauten Seecontainer auf dem Friesenplatz aufstellen und eine Podiumsdiskussion zu »Brachen und Urbanismus« veran­stalten. Diskutiert wird der Umgang mit innerstädtischen Brachen am Beispiel des Güterbahnhofs in Ehrenfeld.