Überleben im Umland Teil 2

Katharina Rosenstein lebt mit ihrer Familie dort, wo sie früher nie hinwollte — in Pulheim-Brauweiler

 

Ich arbeite seit Jahren an einem Gymnasium in Pulheim, daher kenne ich die Gegend. Und eigentlich finde ich sie grässlich. Aber nun wohne ich seit anderthalb Jahren selbst hier, in Brauweiler, das ja zu Pulheim gehört. Und ich bin sehr glücklich mit der Entscheidung. 

 

Wir haben lange in einer Altbauwohnung in Sülz gewohnt. Damals, mit nur einem Kind, hatten wir auch eigentlich genug Platz. Aber ich wollte nicht immer erst alles wie für eine Expedition einpacken müssen, wenn ich mit unserem Kind rausgehe. Ich wollte einen eigenen Garten. 

 

Außerdem sind wir durch unsere Jobs beide aufs Auto angewiesen. Wenn mein Mann abends von der Arbeit kam, hat er manchmal 45 Minuten nach einem Parkplatz gesucht. Einen Stellplatz zu mieten, war aussichtslos. Eine Bekannte von uns stand sieben Jahre auf der Warteliste, bis sie einen Platz in einer Tiefgarage bekam. 

 

Wir sind dann 2015 in eine Neubausiedlung in Junkersdorf gezogen. Da hatten wir eine Terrasse, einen kleinen Garten und einen Stellplatz — also eigentlich alles, was uns vorher gefehlt hatte. Trotzdem war uns von Beginn an klar, dass Junkersdorf nur eine Zwischenstation sein würde. So richtig gefallen hat uns das Neubau-Ambiente nicht, und man lebte wie abgeschottet vom rest-lichen Veedel. Mit mehr als anderthalbtausend Euro war die Miete auch viel zu hoch. Im Grunde war Junkersdorf der Anfang vom Ende unserer Zeit in Köln.

 

Wir haben dann die Anzeige für das Haus in Brauweiler gesehen, und es hat uns sofort ge-fallen: ein schön renoviertes Haus aus den 50er Jahren, mit großem Garten und Holzlamellenfassade. Seitdem wir hier wohnen, fühle ich mich freier. Ich muss keine Angst mehr haben, dass die Kinder den Nachbarn auf die Nerven gehen, oder dass der Kinderwagen im Weg steht. Hier mache ich die Haustür zu, und wir können machen, was wir wollen. An meiner Tochter merkt man, dass sie ein Dorfkind ist. Im Kölner Straßenverkehr ist sie verloren.

 

Ich finde es gut, dass das Haus eine Geschichte hat und in einer gewachsenen Brauweiler Rentnergegend steht. Viel Kontakt zu den Nachbarn haben wir nicht. Aber wir halten uns ohnehin mehr im Garten als auf der Straße auf. Allerdings merkt man auch hier, dass immer mehr Menschen zuziehen. Nebenan sind gerade vier Mehrfamilienhäuser gebaut worden, da ziehen jetzt wahrscheinlich auch lauter Kölner ein. 

 

Hier in Brauweiler können wir schöne Spaziergänge machen, zur Brauweiler Mühle oder im Königsdorfer Forst. Man kann hier auch fast alles einkaufen. Ich muss nicht eine halbe Stunde an der Post anstehen, wenn ich ein Paket abholen will. Wir haben hier alles: Apotheke, Bäcker, Supermarkt, Bioladen, Eisdiele. Nur bei Restaurants und Cafés sieht es nicht so toll aus. Aber ich fahre ja immer noch täglich nach Köln, schon allein, weil die Kinder noch bis zum Sommer in Lindenthal in die Kita gehen. Und wenn ich einen Hefezopf von einer speziellen Bäckerei auf der Ehrenstraße haben will, dann fahre ich da halt hin. Im Grunde führen wir jetzt ein Leben, wie ich es als Jugendliche in meiner Heimatstadt in Ostwestfalen geführt habe: Wir sind total aufs Auto angewiesen. Aber das ist okay, ich fahre gerne Auto. Außer in Stoßzeiten, wenn die Kinder pünktlich in der Kita sein müssen. Dann nervt es.

 

Als wir hier beim Amt waren und die Sachbearbeiterin uns »Pulheim« in den Ausweis geklebt hat, war das schon ein komisches Gefühl. Zum Glück muss man sein Autokennzeichen nicht mehr ändern. Mit BM-Kennzeichen durch die Gegend zu fahren, würde mich schon Überwindung kosten. Im Grunde fühlen wir uns immer noch als Kölner, nach zwei Minuten Autofahrt sehen wir den Dom. Ich finde eh, die Frage »Stadt oder Land« ist überbewertet. Andere sind stolz auf ihr Dasein als Großstädter, bewegen sich aber immer nur in denselben drei Straßen in Sülz.

 

Brauweiler ist anders als das Zentrum von Pulheim. Es hat am ehesten noch Dorfcharakter, es ist idyllischer, und hat durch die Abtei irgendwie eine kölsche Seele. Aber ich muss zugeben: Wenn wir uns ein Haus in Lindenthal hätten leisten können, wären wir lieber in Köln geblieben. 

 

Protokoll: Anne Meyer 

 

 

 

 

Charlotte und Torsten Hunecke zogen von Köln nach Leverkusen — und zurück

 

Wir haben lange am Von-Sandt-Platz in Deutz gewohnt. Dort haben wir uns sehr wohl gefühlt, auch dann noch, als die Kinder kamen. Es gab einen großen Gemeinschaftsgarten hinter unserem Haus, da gab es sogar Unterholz, in dem die Kinder spielen konnten. Aber dann wurde hier viel gebaut, wir hatten jahrelang Baustellen vor der Tür und es wurde immer lauter und voller. Die Parkplatzsuche war eine Katastrophe. Auf der Suche nach etwas Ruhigerem sind wir dann auf die Passivhaussiedlung in Leverkusen-Schlebusch gestoßen. Mich als Ingenieur hat daran vor allem die Bautechnik fasziniert, mit Solaranlage und Wärmepumpe: Dort hat man ein besseres Lebensgefühl, so haben wir gedacht.

 

Wir kauften also ein Reihenhaus in der Neubausiedlung direkt am Waldrand und zogen 2007 ein. Das war schon toll, vor allem für die Kinder. Wir konnten direkt vom Haus aus zu Tageswanderungen durch die Wälder im Bergischen Land aufbrechen. Im Haus genossen wir das tolle Raumklima bei niedrigen Nebenkosten. Die Kinder sind in Altpapiertonnen die Hänge runtergefahren. Und weil wir ja alle neu waren in der Siedlung, lernte man sich schnell kennen. Im Sommer saßen die Eltern auf der Treppe vorm Haus, die Kinder spielten auf der Straße.

 

Dass Leverkusen kein Magnet ist, haben wir als Vorteil empfunden. Es läuft einfach alles auf kleinerer Flamme als in Köln. Das Einkaufen war viel entspannter! Wir sind auch viel ins Forum gegangen, zu Jazzkonzerten oder ins Theater, oder ins Museum Morsbroich. Das ist nicht so überlaufen, und die Tickets sind nicht immer sofort ausverkauft.

 

Aber wir haben auch schnell die Nachteile der Vorstadt zu spüren bekommen. Man denkt ja immer, auf dem Land sei es deutlich ruhiger als in der Stadt. Aber in einer solchen Siedlung ist es ja so: Alle Parteien haben eine Terrasse und einen Garten mit derselben Ausrichtung. Bei schönem Wetter halten sich alle draußen auf, so dass es manchmal schwer war, ein ruhiges Plätzchen zu finden. Die Nachbarn waren alle sehr nett, aber du kriegst halt viel von ihnen mit und sie auch von dir. 

 

Auch den Verkehr auf dem Land haben wir total unterschätzt. Da pendelt ja fast jeder mit dem Auto, und morgens zwischen halb sieben und acht sind die Straßen voll. Wir arbeiten in Düsseldorf und Köln und fahren immer mit Bus und Bahn zur Arbeit — und bis zur Haltestelle mussten wir erstmal vier Kilometer mit dem Fahrrad oder Auto fahren. Der Weg zur Arbeit dauerte also schon ein Weilchen. 

 

Auch unsere Freunde aus Köln haben wir deutlich seltener gesehen. Als ich nach knapp fünf Jahren in Leverkusen das Angebot bekam, drei Jahre nach Shanghai zu gehen, hatten wir deshalb schon die vage Idee im Hinterkopf: Wenn wir zurückkommen, dann vielleicht nicht mehr nach Schlebusch — sondern in die Stadt, nach Köln. Und so kam es dann auch. 

 

In Shanghai lebten wir im 17. Stock eines Hochhauses in einem Wohnkomplex, und wenn wir da auf unserem Balkon saßen, hatten wir mehr Privatsphäre als im Eigenheim in Schlebusch! Wir bräuchten auch in Köln mehr Hochhäuser. In Shanghai hatten wir in unserer Wohnanlage auch kleine Läden, ein Hallenbad, Tennisplätze, das funktionierte super. Die Stadt muss von innen wachsen, nicht an den Rändern ausfransen. Bei der Wohnungssuche später in Köln haben wir anfänglich sogar überlegt, ins Axa-Hochhaus am Rhein zu ziehen.

 

Aber dann wurde es doch »nur« eine Wohnung im 3. Stock eines Mehrfamilienhauses in Lindenthal. Seit 2015 wohnen wir wieder in Köln. Unsere Töchter waren bei unserer Rückkehr 14 Jahre alt und hatten inzwischen andere Interessen, als in Schlebusch im Wald zu spielen. Im Vergleich zu Shanghai kam uns Köln zu Beginn fast dörflich vor. So wenig Leute auf der Straße! Heute genießen wir es, so viele Cafés und Geschäfte vor der Tür zu haben und mit dem Fahrrad zu Freunden fahren zu können, ohne darauf zu achten, wann der Bus fährt. 

 

Protokoll: Anne Meyer

 

 

 

 

Christoph Hack fährt täglich mit dem E-Bike von Hürth in sein Ledergeschäft nach Köln — und ist froh, wenn er die Stadt abends wieder verlassen kann

 

Nach der Geburt meiner mittleren Tochter kam der Wunsch nach einem eigenen Haus auf. Hürth lag zunächst nicht in unserem Suchradius. Aber weil wir nur eine bestimmte Summe Geld zur Verfügung hatten, zogen wir die Kreise immer größer. Dann haben wir in Hermülheim ein schönes Haus mit großem Garten gefunden, an einer der wenigen Straßen mit alten Häuschen. Ansonsten ist Hürth ja nicht wirklich schön. Anfangs war ich richtig irritiert, ich dachte, irgendwas ist hier komisch. Dann habe ich begriffen, dass etwa Berrenrath ein Umsiedlungsort ist, der dem Tagebau weichen musste und in den 50ern neu aufgebaut wurde. Denen haben sie die Geschichte einfach weggeschippt. Oder Knapsack, mit seinem Chemiepark. Alles nicht zum Wohlfühlen. Und heute wird in Hürth wahnsinnig viel gebaut, am laufenden Band entsteht ein neues Quartier. 

 

Aber wir haben uns hier unser kleines Paradies geschaffen. Nach und nach sind Freunde von uns in benachbarte Häuser gezogen, zum Teil Leute, die in Köln schon in WGs zusammen gewohnt haben. Aber wir haben auch mit alteingesessenen Hürthern Kontakt, man trifft sich bei Straßenfesten oder Geburtstagsfeiern. Im Rückblick war mein altes Leben in der Südstadt eigentlich schrecklich, wenn ich das vergleiche. Vor allem mit Blick auf die Kinder. Meine älteste Tochter habe ich in der Rolandstraße großgezogen. Ständig musste ich sagen, pass auf, hier fahren Autos, und bei jedem Mistwetter musste man raus auf den Spielplatz. Jetzt machen wir die Tür auf, lassen die Kinder raus in den Garten, fertig. Das ist eine viel größere Freiheit. 

 

Einkaufen kann man in Köln natürlich besser. Wir lassen uns von einem Bioladen aus Sülz beliefern, aber gehen auch schon mal ins Hürther Einkaufszentrum. Das sind nur ein paar Minuten zu Fuß von hier. Die Kinder gehen da sehr gerne hin. Im Einkaufszentrum trifft man übrigens auf eine breitere Bevölkerungsstruktur als in der Südstadt, da fährt das ganze Umland hin. Auch in der Schule ist es sehr gemischt, nicht alle Eltern kommen aus dem gleichen Milieu. Das sehen wir eher als Bereicherung. Übrigens gibt es ein ganz tolles Kino in Hürth: Das Berli in Berrenrath, mit gutem Programm und schönem Interieur aus den 50er Jahren. Das ist immer gut besucht, und es gibt auch Konzerte und Lesungen. Im Sommer sind wir oft am Otto-Maigler-See, das sind nur 10 Minuten mit dem Fahrrad. Ich gehe da laufen oder schwimmen, und neulich habe ich mir ein Brett fürs Stand-Up-Paddling gekauft, das macht großen Spaß. Obwohl es ein Tagebausee ist, hat man hier noch am ehesten das Gefühl, in der Natur zu sein.

 

Hürth hat 12 Stadtteile, die können auch die gebürtigen Hürther nicht alle aufsagen. Mit dem Autoverkehr wird es hier immer schlimmer. Jetzt bauen sie eine Umgehungsstraße, bald führt der Verkehr dann an Her-mülheim vorbei und kommt bei Efferen wieder raus. Wer hier aufs Auto angewiesen ist, hat verloren. Ich bin missionarischer Fahrradfahrer. Meine Frau und ich fahren beide mit dem E-Bike nach Köln zur Arbeit, das machen wir schon immer so. Und zwar bei jedem Wetter. Wir haben unsere Spur gefunden, durch den Äußeren Grüngürtel, den Stadtwald und am Decksteiner Weiher vorbei. Das ist nicht der kürzeste Weg, aber der schönste, und ich brauche trotzdem nur 25 Minuten von der Haustür bis in meinen Laden im Belgischen Viertel. Und auf diese Weise verbringe ich fast eine Stunde täglich im Grünen. Nach der Arbeit bin ich froh, aus dem hippen Belgischen Viertel wieder rauszukommen, und zu den »normalen« Leuten in Hürth zu fahren. Die abend-lichen Anregungen aus der Stadt brauche ich nicht mehr. 

 

Protokoll: Anne Meyer