Tiefe Bässe: Maria Kublashvili und The Green Man, Foto: Marcel Panne

»Der Sound ist eigentlich überall präsent«

Der Kölner Drum’n’Bass-Produzent und Party-Macher Heiner Kruse blickt auf

seine Geschichte zurück

Gerade ist die Compilation »22 Jahre Basswerk« auf dem gleichnamigen Kölner Drum-and Bass-Label erschienen. Das Label hat eine ganze Generation von jugendlichen Ravern bis ins Erwachsenenalter begleitet. Heiner Kruse alias The Green Man, oder kurz: TGM, hat das Label gegründet, produziert selbst einen Großteil der Musik und dreht bei den ikonisch gewordenen Basswerk-Partys im Gebäude 9 an den Reglern. Ein Interview zum Jubiläums-Release.

 

 

Eine Rückschau ist ja der der klassische Versuch, die Entwicklung einer ganzen Epoche festzuhalten. Wieso seid ihr auf die krumme Zahl »22 Jahre« gekommen?

 


Zunächst war es ein »20 Jahre Basswerk«-Geburtstagsprojekt, das aber viel länger zur Fertigstellung gebraucht hat — die 22 finden viele »typisch kölsch«. Das Ziel der Veröffenrtlichung war vor allem, ganz neue Musik zu realisieren und die positive Energie, die Vielfalt, Offenheit und Experimentierfreude rüberzubringen, die das Genre für mich ausmacht. Und Musiker zu finden, die den Weg mitgehen, anstatt nur einzelne Tracks zu signen.

 

 

An welche Künstler denkst Du ganz besonders?

 


Zum Beispiel an Kingz, unser MC Ende Ende der 90er: Die Tracks mit ihm entwickelten sich rasch zu einem eigenen Album, das wir jetzt separat veröffentlichen. Ein anderes Beispiel: Als ich anfing im Chor zu singen, war schnell die Idee da, den Sound des Kölner Männer-Gesang-Vereins mit tiefen Bässen und modernen Beats zu kombinieren. Dass es geklappt hat, ist etwas ganz besonderes; hier kommen sehr unterschiedliche Kölner Musikwelten zusammen, -da sehe ich Potenzial für mehr. Die Kölner Opernsängerin Maria Kublashvili kam zufällig dazu und teilt sich außerdem noch einen Track auf dem Album mit dem britischen Soul-Sänger David Boomah und dem Kölner Pianisten Gregor Schwellenbach. Aber ich wollte auch Leute aus der Kölner Szene in das Projekt einbinden, mit denen ich noch nicht gearbeitet hatte. Über Gourskis Sample-Experimente berichten gerade WDR und ZDF, mit ihm habe ich Beats aus Field Recordings gemacht. Es sind auch einige Tracks aus Ambient-Richtung dabei, was mich ebenfalls reizt. Dann gibt es vier Coops mit dem Künstler Digital, wo Dub und Elektronik zusammenkommen, die zum Teil später veröffentlicht werden. Die Briten von Aquasky hatten Ende der 90er ihren ersten Auslandsgig bei uns und mit ihrem jazzigen Sound auf Moving Shadow einen Meilenstein gesetzt. Für wenigstens einen Track konnte ich sie jetzt zur Rückkehr zum Jazz bewegen.

 

 

Was zeichnt die Szene hier in Köln aus?

 


Die Anfänge hier waren weniger ravig als anderswo. Geprägt vom Belgischen Viertel, von Underground-Partys und Groove Attack, wo jede Woche neue Importe mit nie gehörtem Sound ankamen. Das war anders als in Mannheim oder Bremen. Die Kölner Szene stand in Deutschland lange für einen anspruchsvolleren Drum’n’Bass. Zuerst als Junglegrowers und später Basswerk haben Laszlo Milasovszky als Cheetah und ich versucht, Akzente in Form von Überraschungen, Improvisation und Stilwechseln zu setzen. Manche haben dafür auf uns herabgeschaut. Aber wir haben viele infiziert. Das höre ich von den Crews, die nach uns kamen.

 

 

Das ist jetzt viel Geschichte, aber was ist für Dich an dem Genre noch nach über 20 Jahren interessant?

 


Drum’n’Bass bzw. Jungle ist moderne Musik. Neue Produktionstechnik fusionierte am Anfang mit allem, was es musikalisch gab: vor allem Soul, Hip Hop, Dub, Reggae, Jazz und Filmscores. Das war auf-regend und zeichnet das Genre bis heute aus. Diese Euphorie erlebe ich immer noch auf den Floors! Außerdem kann das schnelle Tempo als Ganzes, als »Halftime« oder irgendwo dazwischen interpretiert werden — so eröffnen sich endlose Möglichkeiten.

 

 

Fühlst du dich überhaupt noch als Teil des Undergrounds, oder seid ihr nicht schon lange im Pop angekommen?

 

Es kursiert ja auch der Spruch »Drum’n’Bassist tot« ... Der Sound ist eigentlich überall präsent: auf Spotify oder Eurosport, in Filmen, Werbung oder Videogames. Aber die Acts kennt außerhalb der Szene kaum jemand. Und die Szene muss aufpassen, sich nicht nur selbst zu zitieren. Aber tot? Ein Jungle-Remix ist gerade etwa an erster Stelle der Beatport-Charts — vor allen anderen Genres. Leider sind einige dieser Chart-DJ-Tools aber richtig schlecht ... Dubstep und Trap sind komplett mutiert. Zum Glück gibt es noch jede Menge anderen D&B-Sound, der in Köln etwa von den Radiosendern Kölncampus, COSMO oder auch 674.FM gespielt wird. Die Frage ist dennoch: Wie gelangt gute neue Musik heute überhaupt zu denen, die sie hören würden? 

 

 

Durch öffentliche Unterstützung?

 


Dieses Projekt wurde vom Kulturamt gefördert, das hat sehr geholfen. Seit kurzem gibt es eine Förderung für Kölner Tonträgerprojekte, bereits länger eine für Verstaltungen mit großem Risiko. Das ist gut organisiert. Eine Förderung bedeutet aber immer auch Verantwortung: inhaltlich, musikalisch, formell und terminlich. Damit ist viel Arbeit verbunden.

 

 

Hat sich die Labelarbeit und die Kölner Szene für Dich verändert?

 


Im Gegensatz zu früher veröffentliche ich momentan nur Künstler, mit denen ich wenigstens ab und zu selbst musikalisch zusammenarbeite. Dadurch wird alles etwas persönlicher, schlüssiger und macht mehr Spaß. Im Moment ist viel los. Wenn viele Leute in solcher Umgebung produzieren, inspiriert das ungemein. So eine Energie gab es auch vor 20 Jahren!

 

 

Tonträger: Die Compilation »The Green Man presents: 22 Years of Basswerk / The Collab Sessions« ist auf Basswerk /Groove Attack erschienen.