»Die Bewohner unterstützen sich gegenseitig«: Übergangshäuser an der Geisbergstraße, Foto: Marcel Wurm

Im Übergang verwurzelt

In Klettenberg wird eine Sozialsiedlung abgerissen. Nun ist eine Gemeinschaft in Gefahr

 

 Am Rand von Klettenberg liegt eine Siedlung, die anders ist als der Rest des Viertels. Die vier breiten Mehrfamilienhäuser am Ende der Geisbergstraße, gleich neben dem Bahndamm, sind grau und schmucklos, die Wohnungen darin marode und von Schimmel befallen. Es ist ruhig hier, nur vereinzelt sitzen Leute auf den Treppenaufgängen in der Sonne und unterhalten sich. 

 

Anfang Februar kam Post vom Wohnungsamt. Seitdem haben die Bewohner nur noch ein Gesprächsthema: Bis zum Jahresende, stand in dem Brief, müssen alle ausziehen. Dann wird die Siedlung abgerissen. Die Häuser zu sanieren, wäre unwirtschaftlich, teilt das Amt für Wohnungswesen mit. Nach dem Abriss sollen hier zwei Mehrfamilienhäuser mit 56 Wohnungen entstehen, in die einkommensschwache Kölner einziehen sollen. 

 

Nun ist die Aufregung groß an der Geisbergstraße. »Mein ganzes Leben lang habe ich hier gewohnt, auch meine Mutter ist hier aufgewachsen«, erzählt ein etwa dreißigjähriger Mann, dessen kleine Tochter auf seinen Knien herumturnt. Ein Leben außerhalb der Siedlung könne er sich nicht vorstellen. Dennoch sucht er, wie im -Schreiben der Stadt gefordert, eine neue Bleibe. Bislang vergeblich.

 

Das Wohnungsamt ließ in den 60er Jahren in fast allen Stadtteilen Kölns Siedlungen errichten, um Obdachlose unterzubringen. Damals nannte man sie Übergangshäuser. An der Geisbergstraße aber erwiesen sie sich als ziemlich beständig. »Viele leben in zweiter oder dritter Generation hier und sind tief verwurzelt«, sagt Mascha Fischer. Sie leitet eine Kita des Sozialdiensts Katholischer Männer (SKM) in der Siedlung; bereits 1963 hatte der SKM hier eine »Spielstube« eröffnet. Die Kita wird bald in Container ausgelagert und später in einen Neubau an gleicher Stelle wieder einziehen.

 

Heute besuchen nur noch zwei Kinder aus der Siedlung die Kita des SKM, der Rest sind Klettenberger Wohlstandskinder. Doch als Fischer 2003 in der Geisbergstraße anfing, war das Verhältnis umgekehrt. »Wir hatten hier Kinder mit acht oder zehn Geschwistern, die in extremer Armut gelebt haben.« Sie und ihre Kollegen hätten den Kindern morgens zunächst ein Frühstück gegeben, sie gewaschen und ihnen die Zähne geputzt. Beinahe jeden Tag sei die Polizei in die Siedlung gekommen. »Es gab schon viele Konflikte, auch mit den Nachbarn von außerhalb.«

 

Wie die Bewohner der Siedlung von der Nachbarschaft aufgenommen wurden, kann man in einem Artikel der Zeit aus dem Jahr 1963 nachlesen. Sobald die Pläne für die Übergangshäuser bekannt wurden, protestierten die Bewohner der neuen Eigenheime in der Oberpleiser und der Thomasberger Straße. Daraufhin ließ die Stadt die Sozialsiedlung mit Maschendraht umzäunen, damit die »sozial labilen Familien« die besseren Klettenberger Straßen nicht einfach so betreten und die gepflegten Vorgärten zertrampeln konnten. Die Familien der Übergangshäuser mussten nun große Umwege in Kauf nehmen, um zum Einkaufen, in die Schule oder die Kirche zu gehen. 

 

Wann der Zaun verschwand, ist unbekannt. Damals lebten 168 kinderreiche Familien auf engstem Raum, heute gibt es insgesamt noch etwa 120 Bewohner dort. Keiner von ihnen werde Ende des Jahres auf der Straße landen, versichert Josef Ludwig, Leiter des Wohnungsamts. Die Bewohner würden, »sofern sie sich nicht selbst mit Wohnraum versorgen können, vom Amt für Wohnungswesen in Ersatz-Wohnraum mit möglichst passgenauer Anschlussversorgung vermittelt.« Das Wohnungsamt hat eine Außenstelle in der Siedlung, dort könnten sich alle Bewohner beraten lassen, so Ludwig. 

 

Doch Mascha Fischer vom SKM sorgt sich, dass die Gemeinschaft nun auseinandergerissen wird. »Einige hier können schlecht oder gar nicht lesen und schreiben, aber sie unterstützen sich gegenseitig.« Eine Bewohnerin habe einer anderen eine Putzstelle vermittelt. Das klappe aber nur, weil sie ihre Nachbarin zum Arbeiten immer mitnehme. Auch in der Küche der Kita ist eine Frau aus der Siedlung angestellt. »Wenn sie nun in einen anderen Stadtteil ziehen muss, weiß ich nicht, ob sie es weiterhin schafft, zu uns zu kommen.«