Wintermärchen

Jan Bonny wirft die Zuschauer in unangenehme Nähe zu Nazimördern

Auch für die rassistischen Morde unterbricht dieser Film seinen Fluss nicht. »Wintermärchen« ist immer mittendrin. Mehr als zwei Stunden lang klebt die Handkamera an Becky, Tommi und Maik, ob diese nun saufen, ficken oder Migranten hinrichten. Kein weiterer Blick auf die Opfer nach den Schüssen, keine nachdenkliche Musik, keine Zeit für Betroffenheit. Als Zuschauer sind wir ganz an die Wahrnehmung der Täter gebunden — und die ist eiskalt und flüchtig. 

 

»Wintermärchen« ist vom Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) eher lose inspiriert und sorgte bei seiner Weltpremiere auf dem Festival von Locarno für kontroverse Debatten. Nicht zuletzt, weil der Kölner Regisseur Jan Bonny weniger die Morde als die destruktive sexuelle Dynamik zwischen den Rechtsterroristen ins Zentrum seines Films stellt. Die meiste Zeit verbringen wir mit ihnen in trostlosen Neubauten und sehen Verführungen, Übergriffen und Erniedrigungen zu.  

 

Dahinter steckt aber mehr als eine verharmlosende Psychoanalyse von Einzeltätern. Eher die simple wie wichtige Erkenntnis, dass Faschismus eben nicht nur etwas mit Ideologie, sondern auch mit Begehren zu tun hat. Wenn Bonny seinen Film im Fluss hält, wenn sich der Mord an Migranten nicht als kalkulierte Polittat, sondern als asozialer geiler Rausch und Verlängerung des Trieblebens darstellt, dann um klar zu machen: Neonazismus ist nicht nur Weltbild, sondern auch Lebenswelt; und rechtes Gedankengut lässt sich nicht einfach auf Ebene der Gedanken bekämpfen, wenn es längst tödliches Handeln und Affekt geworden ist.

 

Becky, Tommi und Maik leben im Untergrund schließlich nicht zuletzt den ewigen Traum von Transgression und Außenseitertum, versuchen am eigenen Mythos zu arbeiten wie einst Bonnie und Clyde. »Das checkt doch niemand, was wir hier machen, außer der Staatsschutz«, sagt Becky einmal frustriert. Regisseur und Drehbuchautor Bonny holt in solchen Momenten doch noch andeutungsweise die institutionelle Ebene des NSU-Skandals in den eigentlich so eng erzählten Film. 

 

Aber gerade weil »Wintermärchen« kein Außen spendiert, sondern bei den Tätern bleibt, kommt der Film dringlicher daher als Fatih Akins NSU-Rachethriller »Aus dem Nichts«. Ließ sich die Spur der Nazis dort noch beruhigend in Richtung Griechenland zu einem »internationalen Netzwerk« verfolgen, könnte der rechte Terror in »Wintermärchen« deutscher und profaner nicht sein. Das ist wohl die Provokation dieses Films: Monster gibt es keine, dafür ist das Böse zu banal.

 

 

Wintermärchen. D 2018, R: Jan Bonny, D: Ricarda Seifried, Thomas Schubert, Jean-Luc Bubert, 125 Min. Start: 21.3.