Jung, schwul, bipolar

Thomas Jonigk versucht in der Adaption von Rückkehr nach Reims Didier Eribon der ­Widersprüchlichkeit zu überführen

Didier Eribons »Rückkehr nach Reims« ist das missverstandenste Buch der letzten zwei Jahre. Der Autor, Foucault-Schüler und Professor für Soziologie, schildert in einer Autofiktion die Wiederannäherung an die eigene Herkunft als schwules Kind aus einem französischen Arbeiterhaushalt. Gelesen wurden seine Erinnerungen als Parabel für die Zustand der Arbeiter-klasse: von Linken und »Identitätspolitik« im Stich gelassen, sucht sie ihr Erdenheil im Rechtsextremismus von Marine Le Pen.

 

Alle Fragen sind beantwortet, aber trotzdem: Vorhang auf für Thomas Jonigks Inszenierung von »Rück-kehr nach Reims« am Schau-spiel Köln. Papa Eribon, »standesgemäß« im Unterhemd, steht vor einem Mikrofon inmitten des minimalistischen Bühnenbilds, das die Werkshallenvergangenheit des Depot 2 aufgreift. Im Hintergrund pluckert ein Synthesizer, über dem er in schönstem Bronski-Beat-Fal-set-to singt. Sein Sohn Didier, verkörpert von gleich drei Darstellern, schmiegt sich an und wird gleichzeitig zurückgestoßen — anschaulicher kann man die Ambivalenz, die Eribons Buch durchzieht, nicht inszenieren.

 

Nach den ersten Minuten kippt das Stück ins Er-wart-bare: eine Mischung aus Kitchen-Sink-Realismus und politischen Parabeln, die ihre Interpretation gleich mitliefern. Papa Eribon brüllt alle an, Mama Eribon brüllt Papa Eribon an, ist dafür aber gegenüber ih-rem Kind so warmherzig mütterlich, wie das echte Working-Class-Mums eben sind. Sohn Didier schwankt zwischen fleißig und flamboyant, wo-bei seine Darsteller alle Zwischentöne geflissentlich ignorieren, fast als zeichnete Bipolarität schwule junge Männer mit intellektuellen Ambitionen aus. Hin-zu kommt, dass Eribon permanent zur Rechtfertigung gedrängt wird: Während er über die Arbeiterklasse philosophiert, verpackt diese am Amazon-Fließband sein Buch zum Versand. Und wenn die Verwandtschaft am Stammtisch mit Baguette, Rotwein, Trikolore die pas-senden Parolen herunterbetet, wendet er sich ab, anstatt zu diskutieren.

 

Der linke Heuchler und der gewalttätige Proletenpapa sind aber keine Figuren aus Eribons »Rückkehr nach Reims«, das von der doppelten Scham handelt, sich als junger Schwuler die Freiheit eines Intellektuellenlebens zu nehmen, ohne mit Privilegien auf die Welt gekommen zu sein. Vielmehr entspringen diese Figuren einem Phantasma, das Rechtspopulisten und autoritäre Parteisozialisten teilen: einer Arbeiterklasse, die ihren Platz zu kennen hat, aber nicht ihre Handlungsmacht.

 

 

»Rückkehr nach Reims«, A: Didier -Eribon, R: Thomas Jonigk, 13., 16.3., Depot 2, 20 Uhr