Liegende Kuh an Aktenordner

Das Kunsthaus Kornelimünster widmet sich so phantasievoll wie akribisch dem Komplex »Kunst und Büro«

Gleich mehrere Gründe hat das Kunsthaus NRW Kornelimünster, den 70. Geburtstag seiner ungewöhnlichen Sammlung zu feiern. Ungewöhnlich, weil Kunstwerke nicht nur ausgestellt, sondern seit 1948 auch ausgeliehen werden — an die halböffentlichen Büro-Räume von Landesbehörden, seit 2017 offiziell als Artothek. Die in der ehemaligen Reichsabtei untergebrachte Institution südöstlich von Aachen verwaltet und betreut die Sammlung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft, die 1948 gegründet wurde, um nach dem Ende des NS-Regimes junge und entrechtete Kunstschaffende zu unterstützen. 

 

Ihr Direktor Marcel Schumacher setzt die Akquisetätigkeit seit 2015 fort und versteht es, die Qualität der mit teilweise hochkarätiger Kunst bestückten Kollektion zu halten — durch Ankäufe im großen Stil von junger Kunst aus NRW. Die Jubiläumsschau spiegelt die außergewöhnliche Identität der Institution, die durch ihre Ausstellungen und die Ausleihtätigkeit Kulturgeschichte mit-schreibt. Von den 4000 Werken der NRW–Sammlung, das sei hier noch erwähnt, sind rund 1300 Kunstwerke unterwegs und zieren Büros von Politiker*innen.

 

Der Obertitel der Ausstellung »büro komplex«, er könnte je nach nach Betonung »komplexes Büro« oder »Bürokomplex« meinen, lässt in seiner Ambivalenz keinen innenarchitektonischen Parcours durch die Geschichte der Büroästhetik erwarten. Spielerisch und hintersinnig hat Marcel Schumacher das an sich trockene Sujet Büro in 26 Räumen inszeniert. Immerhin überschreibt sich die Ausstellung im Untertitel als »Die Kunst der Artothek im politischen Raum«.

 

Es gibt Büro-Inszenierungen zu kunstgeschichtlichen wie allgemein historischen Etappen. Darunter natürlich das Büro zum kapitalistischen Realismus, jener rheinischen Künstlerbewegung, die reale Objekte des Kapitalismus zum Motiv machte. Neben den einzelnen Künstler*innen wie Joseph Beuys, Wolf Vostell oder Bernd und Hilla Becher gewidmeten Räumen sind andere thematisch überschrieben, beispielweise »Eine Sitzgruppe mit Blick auf den jungen Westen« oder auch »Büro Lichtgrau«.

 

Über die die üblichen Angaben zu erworbenen Werken hinaus ist stets der Ankaufszeitpunkt zu erfahren — detaillierter in dem ausgesprochen aufschlussreichen Ausstellungskatalog in Gestalt einer mächtigen Ordnungsmappe, die alle Räume chronologisch erläutert. Doch den Besucher*innen erschließt sich das assoziative Panorama aus Kunst- und Bürorequisiten von der NS-Zeit bis heute und zwischen Kontor, Großraumbüro sowie im Lounge-Style gehaltenen Verhandlungsorten auch dann, wenn sie die Räume nicht chronologisch abschreiten. 

 

In dem mit »Im Licht der Verwaltung — Schrift und Zahl« und »Verwaltungsmord und Propagandakunst — Im Schatten des NS-Regimes« betitelten Areal steht ein Holztisch mit einer uralten mechanischen Schreibmaschine darauf. Daneben läuft Boaz Kaizmans Video »Hannah Ahrendt — die Reise nach Jerusalem« (2018), an der Wand dahinter sind die verwirrenden Text-collagen »Publit=Poem-Painting 38« (1966) und »Sehtexte« (1968) von Ferdinand Kriwet installiert. Neben-an lässt die »Gerichtsesche«, ein 1978 inventarisiertes trostloses Landschaftsbild (1939) von Heinz Hindorf erschaudern.

 

Das »Büro im Wiederaufbau« ist ausschließlich mit abstrakten Gemälden bestückt, unter anderem von Gerhard Hoehme und Hann Trier sowie von Joseph Fassbenders Wandbehang. Einen Schreibtisch zieren dort einige als Briefbeschwerer fungierende Kleinplastiken von Heide Dobberkau, Ludwig Chateau oder Ewald Mataré — meist Abstraktionen von Tieren. Matarés »Lie-gen--de Kuh« illustriert im Übrigen an an--de-rer Stelle der Ausstellung durch die Abnutzungspatina an ihrem Kopf, wie gerne Politiker*in--nen, in deren Büro die Figur als Leihgabe stand, die Bronzearbeit für ein Fotoporträt an erwähnter Stelle berührten.

 

Wie sehr die Ausstellung auch den Wandel von Bürokonzepten reflektiert, bringt Marcel Schumacher in seinem Katalogbeitrag auf den Punkt: in der heutigen Zeit, in der »sich Arbeitsverhältnisse und Arbeitsräume zunehmend auflösen«, veranschaulicht die Kunst dies durch digitale Beiträge sowie »neue mediale Experimente«. Wie etwa mit der erst 2017 angekauften Videoarbeit »MASTERCAT2« von Fabian Heitzhausen, in der vermenschlichte Riesenhunde ein Großraumbüro managen. Hier und an anderen Orten des Rundgangs fasziniert das Zusammenspiel von zeitgenössischer Kunst, Büro-Inszenierung und barocken Räumlichkeiten der ehemaligen Abtei. Wer das mit der Ausstellung im Oktober 2018 gestartete Jubiläumsjahr des Kunsthaus NRW Kornelimünster weiterverfolgen möchte, dem seien zahlreiche Veranstaltungen, nicht zuletzt die ab Mai laufende Folgeausstellung zum Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Figuration mit weiteren Highlights der Sammlung empfohlen.

 

Kunsthaus NRW, Abteigarten 6, 52076 Aachen-Kornelimünster, Do–Sa 14–18 Uhr, So 12–18 Uhr und nach Voranmeldung, bis 28.4. 

 

Veranstaltungsprogramm im April unter kunsthaus.nrw

 

Der Katalog kostet 25 Euro