Seelenkunde: Omid Shirazy (M.) und Geraldine Rosteius

Mr. Shirazy: Keine Verdrängung

Das Exile Orchestra meldet sich mit neuer Show zurück

Omid Shirazy und seine großflächig angelegten musikalischen und künstlerischen Entwürfe hatten wir schon vor vier Jahren vorgestellt: Shirazy hat mit seinem Exile Orchestra ein Kollektiv geschaffen, in dem Musiker und Künstler unterschiedlichster Herkunft hier — mitten in Köln — etwas Gemeinsames schaffen, indem die Erfahrungen der alten und neuen Heimat gleichberechtigt zusammenfließen. Das Ergebnis war musikalisch ein beeindruckendes Psychedelic-, Soul- und Funk-Spektakel, in dessen Mittelpunkt FREEAK stand, ein von Shirazy selbst entwickeltes Loopinginstrument, das er wie eine Gitarre oder ein Piano spielen kann.

 

Jetzt dreht Shirazy die Schraube noch ein Stück weiter. Im Herbst wird »The One« erscheinen, wie immer bei Shirazy und seinen Leuten: in strikter Eigenregie. Produktion, Visuals, Choreographie, Bühnenbild werden vom Kollektiv selbst realisiert — und sollen von einer bald startenden Crowfunding-Kampagne unterstützt werden. Was man von dem Album jetzt schon hören kann, ist vielversprechend: Die Musik ist tiefergelegt, noch mehr Einflüsse wurden zugelassen, noch mehr Schichten übereinander gelegt. »Das Album ist eine Auseinandersetzung mit der inneren Freiheit, eine Erforschung des Bewusstseins«, sagt Shirazy im Interview. Natürlich spielt die Biographie des in Teheran geborenen Allround-Künstlers weiterhin eine Rolle. Shirazy verließ Iran als Jugendlicher, um nicht als Kindersoldat im irakischen-iranischen Krieg verheizt zu werden.

 

Eine zentrale Ansprechpartnerin für Shirzay und »The One« ist die Tänzerin Geraldine Rosteius. Auf einem Pferdehof in Hennef leben und arbeiten sie zusammen. Rosteius‘ Rolle für die Bühnenshow ist zentral. Im Interview erzählen beide von ihrem gemeinsamen kreativen Prozess.

 

 

»The One« ist als Gesamtkunstwerk konzipiert. Wie würdet ihr die Zusammenarbeit der verschiedenen Künste beschreiben?  

 

Omid Shirazy: Schon bei der Entstehung der Musik treten wir in einen Austausch. Mit den ersten Ideen für die Stücke entwickelt sich die Vorstellung vom Tanz und vom Bühnenbild, das ist ein Geflecht aus Ideen und Stimmungen, die am Ende etwas Einheitliches ergeben. Wie ein Schal, den man von zwei Seiten zu stricken beginnt.

 

Geraldine Rosteius: Wir sind schon länger im Gespräch, wie wir unsere beiden Disziplinen zusammenbringen können. Im letzten Sommer war es soweit, dass wir es auf der Bühne ausprobiert haben. Die Reak-tionen darauf waren so positiv, dass wir wussten, wir sind auf dem richtigen Weg. Die Interaktion mit dem Publikum ist sehr wichtig für uns.

 

 

Was ist denn zuerst da — Musik oder Bewegung? 

 

Shirazy: Das kann man nicht vorab sagen. In meiner Musik reagiere ich auch auf Bewegungen, lasse mich von der Energie der Tanzenden inspirieren. Andererseits habe ich musikalische Skizzen oder Ideen, die ich Geraldine vorspiele und die dazu Bewegungen und choreographische Elemente entwickelt.

 

Rosteius: Es ist auf jeden Fall etwas sehr körperliches, der Vibe der Musik löst in mir etwas aus, was mich zu bestimmten Bewegungen inspiriert — umgekehrt ist das auch der Fall. Es geht durch den Körper. Der Körper merkt sich die Bewegungen, wenn ich die Musik höre, dann stellen sich wieder die Bewegungen ein. Ich habe mittlerweile einen ganzen Rucksack voller choreographischer Ideen, und wenn die Musik dann steht, fügen sich die beiden Elemente fast von selbst zusammen.

 

 

Von euch beiden ausgehend, wie entwickelt sich die Musik weiter? 

 

Shirazy: Ich stelle meine Skizzen den Musikern vor, das ist schon ziemlich präzise. Trotzdem sind es erst mal nur Skizzen, sie werden lebendig, wenn die Musiker sie spielen — und darin finden sie den Raum für ihre eigene Kreativität. Die Stücke sind zwar aus meiner Feder, aber sie entwickeln sich organisch. Sie wären ohne den Beitrag der Musiker gar nicht möglich. Der Austausch steht immer im Vordergrund. Manchmal werden meine Ideen auch über den Haufen geworfen. Musik entsteht letztlich aus dem Moment. Um diesen Moment, in dem etwas Neues, Gemeinschaftliches entsteht, geht es mir.

 

 

Welche Rolle spielt schließlich der Tanz?

 

Rosteius: Wir sehen den Tanz als Mittler zwischen zwischen Musik und Publikum. Deshalb ist die Choreographie auch nicht fix, ich fange die Stimmungen aus dem Publikum auf — ganz einfach, ich sehe Leute tanzen und übernehme ihre Bewegungen, ich gehe mit ihnen mit, das geschieht spontan und es verbindet sich wieder mit Musik. Und es setzt bei mir Power frei! Das steigert sich und es springt auf das Publikum zurück. Nicht nur die Musiker und Tänzer, auch das Publikum ist Teil der Interaktion.

 

Shirazy: Ich habe mich auf einer tieferen Eben mit diesem Thema auseinandergesetzt und es hat mir einen reichen Erfahrungsschatz eröffnet — auf individueller Ebene, aber auch was die Geschichte angeht, die in jedem von uns steckt. Wir sind so sehr mit dem Verdrängen von Leid beschäftigt, dass wir kaum noch zu etwas anderem kommen. Aber verdrängtes Leid erzeugt letztlich nur weiteres Leid. Ich bin überzeugt, dass es keine Heilung auf globaler Ebene geben kann, wenn wir uns nicht auch auf persönlicher Ebene damit auseinandersetzen.

 

 

Wie findet man zu so einem Gedanken musikalische oder eben auch tänzerische Bilder? 

 

Shirazy: Zunächst: Musik drückt etwas aus, was durch Worte nicht ausgedrückt werden kann. Sie kann die Auseinandersetzung mit etwas sehr Düsterem in einen positiven Kontext stellen. Egal, woher wir kommen und wie groß unsere Mühen sind: Es gibt für jeden einen Platz! Eine Musik, die wie unsere auf Kooperation und ständigem Austausch basiert, kann das ausdrücken.

 

  


Stadtrevue präsentiert das Konzert:
Do 18.4., YUCA, 20 Uhr

Mehr zum kommenden Album und zur Crowdfunding-Kampagne
unter mrshirazy.com und facebook.com/MrShirazy